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Pessimismus lieben

Der Pessimismus und Pessimisten werden zu Unrecht abgelehnt. Auch Kritizismus und Skeptizismus, die Königsdisziplinen der Wissenschaftler, Philosophen und Journalisten werden in diese Kategorie eingeordnet. Optimismus gilt hingegen als gute Sache und als erstrebenswert.

Dabei ist es doch so: Optimisten haben beispielsweise gesagt: »Ach, dieser Hitler. Damit kommt er doch niemals durch. Das Parlament und sein Amt werden ihn schon zur Vernunft bringen«. Optimisten haben auch keine Schwimmwesten oder Rettungsboote erfunden. Sie haben gesagt, die Titanic sei unsinkbar. Sie neigen dazu, zu sagen, es werde schon gutgehen, alles werde schon gut.

Ähnlich ist es mit faulen und fleißigen Leuten. Faule Leute finden die effizientesten Methoden, sie haben Maschinen, Automaten und Computer erfunden. Denn sie wollen soviel Arbeit wie möglich vermeiden. Fleißige Leute neigen dazu, unnötige Arbeiten zu erledigen und an ineffizienten Methoden festzuhalten, deren Ineffizienz sie zum Teil durch ihren Fleiß kompensieren.

Optimismus kann schädlich sein, wenn er unrealistische Hoffnungen weckt. Wenn diese dann enttäuscht werden, ist die Enttäuschung groß. Pessimismus weckt hingegen keine unrealistischen Hoffnungen, umso größer ist die Freude, wenn es dann doch besser wird als gedacht. Natürlich hat auch Optimismus seine Berechtigung, beispielsweise neigen Kranke dazu, aktiver an der Heilung mitzuwirken, wenn sie Hoffnung auf Heilung haben, während sie sich ohne Hoffnung womöglich ihrem Schicksal ergeben und dem Fatalismus verfallen.

Optimismus fällt in die Kategorie des »Positiven Denkens«. Untersuchungen haben gezeigt, dass Positives Denken dazu führen kann, dass das Gehirn unbewusst glaubt, das gewünschte Ziel sei längst erreicht, und deshalb notwendige Anstrengungen zu dessen Erreichung einstellt. Ebenso birgt Positives Denken die Gefahr, dass man sich unter Druck gesetzt fühlt, das Gewünschte dann auch tatsächlich zu erreichen, und sich dann, wenn man es doch nicht erreicht, womöglich selbst die Schuld dafür gibt und sich entsprechend schlecht fühlt. Oder – nicht minder schlimm – anderen die Schuld dafür gibt.

Schon die Autoren der Bibel wussten: »Alles hat seine Zeit«. Das ist eine noch viel ältere Weisheit. Optimismus und Pessimismus haben beide ihre Zeit, beide haben ihre Berechtigung, beide können gut und schlecht sein.

Warum wird nun Pessimismus in der Regel abgelehnt? Weil die meisten Leute nicht in der Lage sind, zu antizipieren. Sie wollen sich hier und jetzt gut fühlen. In zahlreichen Experimenten wurde das gezeigt. So haben beispielsweise Kinder lieber ein Überraschungsei gegessen, anstatt ein paar Minuten zu warten, und dann – wie versprochen – zwei Überraschungseier zu bekommen. Leute nehmen lieber heute 50 Euro als morgen 100 Euro. Leute spielen auch Lotto, gehen in die Spielbank oder spielen an Geldspielautomaten, obwohl die Gewinnchancen verschwindend gering sind; in Spielbanken gewinnt am Ende immer nur die Bank, bei Geldspielautomaten immer der Aufsteller. Das sind Optimisten. Pessimisten sparen sich das und gehen mit dem Geld, das sie haben, ein Eis essen. Soll heißen: Menschen ticken so.

Die alte, pseudophilosophische Kamelle von der Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, ist genau das: pseudophilosophisch. Beides ist richtig. Und das hat im Grunde genommen auch nichts mit Optimismus und Pessimismus zu tun. Es ist einfach so, wie es ist. Ist es etwa eine pessimistische Sichtweise, das Glas als halb leer zu bezeichnen? Vielleicht hat man ja die fehlende Hälfte schon genossen. Oder der Inhalt ist ungenießbar. Dann wäre eine vermeintlich optimistische Interpretation unangebracht. Man kann sich dazu einiges ausmalen.

Es gibt einen sehr guten Witz zu diesem Thema: Der Pessimist sieht kein Licht im Tunnel. Der Optimist sieht das Licht am Ende des Tunnels. Der Realist sieht, dass das Licht von einem Zug kommt. Der Lokführer sieht drei Idioten auf den Gleisen.

Fazit: Pessimismus ist wichtig, man muss ihn lieben. Optimismus auch. Alles zu seiner Zeit und in der richtigen Dosis.
 
Gütsel
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