Unter »Digitalisierung« wird heutzutage vornehmlich etwas verstanden, das mit dem Internet zu tun hat. Das hat es natürlich nicht zwingend. So wurde beispielsweise die Druckvorstufe schon vor Jahrzehnten vollständig digitalisiert, ohne dass das Internet im Spiel war. Auch die Fotografie wurde praktisch vollständig digitalisiert. Auch hier, ohne dass das Internet im Spiel war. Natürlich gibt es immer noch Nostalgiker, die im Bleisatz setzen oder die analog fotografieren. Eine nennenswerte Rolle spielen sie jedoch nicht.
Sonnenseiten und Schattenseiten
Die Digitalisierung hat viele Sonnenseiten, aber auch viele Schattenseiten und sollte nicht unhinterfragt, unreflektiert und unkritisch umgesetzt und hingenommen werden. Ist das Fernsehprogramm etwa durch das Digitalfernsehen besser geworden? Werden im Internet mehr kluge Dinge gesagt als zuvor? In der besagten Druckvorstufe hat die Digitalisierung zum Aussterben ganzer Berufe, einer ganzen Branche geführt. Mit dem Ergebnis, dass ein ganzes Kulturgut gefährdet ist. In der Fotografie hat sie zu einer Fotografenschwemme geführt, bei der die Fotografen zu einem großen Teil wenig qualifiziert sind. Dabei ist gerade der Schriftsetzer, einer der Berufe, die abgeschafft wurden, einer der wichtigsten kulturellen Berufe überhaupt gewesen, denn der Buchdruck mit beweglichen Lettern, den Johannes Gutenberg erfunden hat, ist nüchtern und aus epistemologischer Sicht betrachtet eines der wichtigsten Kulturgüter überhaupt. Gedruckte Sprache ist eines der wichtigsten Medien, das wichtigste überhaupt. Das Fernsehen hat das Buch nicht verdrängt. Das Internet bisher auch nicht. Ob das jemals passieren wird, ist fraglich. Eine weitere Schattenseite ist der Stromverbrauch. So verbrauchen beispielsweise Bitcoins, eine Kryptowährung fast ohne jeglichen praktischen Nutzen, soviel Strom wie ganz Argentinien. Oft werden mit Digitalisierung Probleme gelöst, die es gar nicht gibt. So gibt es Apps, die kein Mensch braucht und die kein Mensch will. Aber die »Start-ups« die sie produzieren dienen als Investitionsobjekt für Spekulanten, die viel Geld investieren. Und beim »Exit«, auf den meist hingearbeitet wird, viel Geld verdienen. Um die Sache geht es dabei freilich nicht. Wer sich ernsthaft selbstständig macht, bezeichnet sich in der Regel nicht als »Start-up« oder als »Gründer«. Oft werden diese Investitionen sinnlos verbrannt, gerne für Gehälter und Fernsehwerbung. Aber beim »Exit« finden sich dann Investoren, die bereit sind, dennoch viel Geld für die Firma zu bezahlen. Wir haben es hier mit einer großen Blase zu tun.
Simulation
Digitalisierung bedeutet in erster Linie die Simulation von etwas, in zweiter Linie die Automatisierung. Außerdem kann sie eine Arbeitserleichterung bedeuten, oft allerdings auch etwas, das man als Overengineering bezeichnet. So ist der Nutzen einer Funktion fraglich, bei der eine Waschmaschine per App mitteilt, dass der Waschgang beendet ist. Oder der Nutzen einer Webcam im Backofen. Oder eines Kühlschranks mit Internetanschluss, der dann – so eine »Vision« – automatisch online Milch bestellt, wenn sie alle ist. Das ist natürlich völliger Nonsens.
Digitale Illiteralität
Auf Seiten der Benutzer ist eine digitale Illiteralität weit verbreitet – so sind viele Menschen weder willens noch in der Lage, digital zu kommunizieren, sprich: E-Mails zu lesen und zu schreiben oder angemessen darauf zu reagieren, sprich: sie zu lesen, adäquat zu antworten, oder überhaupt beziehungsweise zeitnah zu antworten. Chats in Messengerdiensten sind offenbar weniger problematisch.
Holschuld
Die Digitalisierung ist an vielen Stellen auch nicht nur eine Bringschuld sondern auch eine Holschuld. Soll heißen: Es mag zu beklagen sein, dass beispielsweise der Shuttleservice der Stadtwerke Gütersloh nur per App zu buchen und zu bezahlen ist. Aber in der heutigen Zeit ist ein Smartphone nun einmal Standard, geradezu Pflicht. Ebenso wie ein Telefon an sich.