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Robotisch gewickeltes NaturfasergebäudeZoom Button

Kooperation der Universitäten Freiburg und Stuttgart: Der »livMats Pavillon« im Botanischen Garten der Universität Freiburg. Foto: Robert Faulkner, IntCDC, Universität Stuttgart, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

Robotisch gewickeltes Naturfasergebäude

Das Bauwesen steht derzeit vor den Herausforderungen, künftig weniger Ressourcen zu verbrauchen und dadurch auf eine nachhaltige Entwicklung umzustellen. Hierfür bedarf es neuer ressourceneffizienter Ansätze in der Architektur bezüglich des Einsatzes von nachwachsenden Rohstoffen. In einem gemeinsamen Projekt haben Forschende der Universitäten Freiburg und Stuttgart sowie Masterstudierende der Universität Stuttgart einen Leichtbau-Pavillon entworfen. Mit diesem – nach dem Freiburger Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) benannten – »livMatS Pavillon« im Botanischen Garten der Universität Freiburg präsentiert das Team ein Modell für eine nachhaltige, ressourceneffiziente Alternative zu konventionellen Bauweisen. Der Pavillon veranschaulicht, wie durch eine Kombination von natürlichen Materialien mit fortschrittlichen digitalen Technologien eine einzigartige bioinspirierte Architektur ermöglicht wird. Die tragende Struktur des Pavillons besteht aus robotisch gewickelten Flachsfasern, einem von Natur aus nachwachsendem und biologisch abbaubaren Material.

Effizienter Leichtbau mit Naturfasermaterialen

Im Gegensatz zu Glas- oder Kohlestofffasern und auch zahlreichen anderen Naturfasern sind Flachsfasern regional verfügbar und wachsen in jährlichen Erntezyklen. Sie sind zu 100 Prozent erneuerbar, biologisch abbaubar und bieten daher eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung ressourcenschonender Alternativen in der Bauindustrie. Sie haben das Potenzial, insbesondere in Kombination mit effizientem Leichtbau, den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden deutlich zu reduzieren. Aus diesen Gründen sind die tragenden Elemente des »livMatS Pavillons« aus Flachsfasern hergestellt.

Integratives computerbasiertes Design und robotische Fertigung

»Faserverbundwerkstoffe weisen ein hervorragendes Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht auf«, erklärt Prof. Dr.-Ing. Jan Knippers, Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) und Co-Sprecher des Exzellenzclusters Integrative Computational Design and Construction for Architecture (IntCDC) der Universität Stuttgart. »Diese Eigenschaft bietet eine ausgezeichnete Basis für die Entwicklung innovativer, materialeffizienter Leichtbaustrukturen.« Konzentrierte sich die Forschung bisher auf synthetisch hergestellte Faserverbundstoffe wie zum Beispiel Glas und Kohlestofffasern, so erweitert sich mit dem »livMatS Pavillon« das Materialsystem um den Einsatz von Naturfasern.

»Im Hinblick auf das computerbasierte Design, die Arbeitsabläufe der robotischen Fertigung sowie die Maschinensteuerung, stellten die Naturfasern und ihre biologische Variabilität uns Forscher vor neue Herausforderungen«, sagt Prof. Achim Menges vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und Sprecher des Exzellenzclusters IntCDC der Universität Stuttgart. Denn die Prozesse wurden ursprünglich für synthetische, homogene Materialien entwickelt und mussten nun auf die Materialeigenschaften der Flachsfasern übertragen werden. Die Anpassung des integrativen computerbasierten Modells ermöglichte es, diese heterogenen Materialeigenschaften in Entwurf und Planung der einzelnen Komponenten sowie der Gesamtstruktur einzubeziehen.

Bioinspiration: Natur als Vorbild

Die Forschenden ließen sich in der Entwicklung des Pavillons von der Natur leiten. Als Inspiration für die netzförmige Anordnung der Naturfasern und der kernlosen Wicklung der Bauteile des Bionik-Pavillons dienten der Saguaro-Kaktus (Carnegia gigantea) und der Feigenkaktus (Opuntia sp.). Beide Kakteen zeichnen sich durch ihre besondere Holzstruktur aus. Der Saguaro-Kaktus verfügt über ein zylinderförmiges Skelett, das innen hohl und dadurch besonders leicht ist. Es besteht aus einer netzartigen Holzstruktur, die dem Skelett zusätzlich eine besondere Stabilität verleiht. »Diese Struktur entsteht, indem die einzelnen Elemente miteinander verwachsen«, erläutert Prof. Dr. Thomas Speck, Direktor des Botanischen Gartens und Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg. »Das Gewebe der abgeflachten Seitentriebe des Feigenkaktus durchziehen ebenfalls vernetzte Holzfaserbündel, die in Schichten angeordnet und miteinander verbunden sind. Hierdurch zeichnet sich auch das Gewebe des Feigenkaktus durch eine besonders hohe Belastbarkeit aus.« Die Forschenden haben diese Netzstrukturen der biologischen Vorbilder abstrahiert und im livMatS-Pavillon durch das Wickeln, das „coreless winding“ der Naturfasern umgesetzt. Durch diese Abstraktion – bei Pflanzen existieren keine Wickel- oder Flechtprozesse – konnten die Forschenden die mechanischen Eigenschaften der vernetzten Faserstrukturen auf die Leichtbau-Tragelemente des »livMatS-Pavillons« übertragen.

Künftige Nutzung

Der Pavillon im Botanischen Garten der Universität Freiburg wird künftig als Veranstaltungsort für Angebote des Exzellenzclusters livMatS dienen, um die Forschung des Clusters anschaulich zu vermitteln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden dort beispielsweise in Führungen oder Workshops der Öffentlichkeit ihre Arbeit präsentieren. Der Exzellenzcluster livMatS forscht zu lebensähnlichen Materialsystemen, die von der Natur inspiriert sind. Die Materialsysteme werden rein technische Objekte sein, sodass sie sich mit synthetischen Methoden herstellen lassen. »Durch seine Beschaffenheit bietet der Pavillon selbst Anknüpfungspunkte, um Ähnlichkeiten und Unterschiede von biologischen und technischen Materialien zu verdeutlichen und aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich durch Bioinspiration beispielsweise in der Architektur aber auch in anderen Bereichen der Technik ergeben«, sagt Prof. Dr. Jürgen Rühe vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg und Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters livMatS.

Kooperation und langjährige Zusammenarbeit

Der Pavillon basiert auf der Zusammenarbeit eines Teams bestehend aus Architektinnen und Architekten sowie Ingenieurinnen und Ingenieuren des Masterstudiengangs ITECH am Exzellenzcluster »Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC)« der Universität Stuttgart und Biologinnen und Biologen des Exzellenzclusters »Living. Adaptive and Energy-autonomous Material Systems (livMatS)« an der Universität Freiburg.

In das Projekt fließt die langjährige Forschung zum Thema computerbasierten Planen und Bauen mit Faserverbundkonstruktionen der Institute Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart mit ein. In einem fächerübergreifenden Team aus Wissenschaftlern der beiden Institute in Zusammenarbeit mit Studierenden des Masterstudiengangs „Integrative Technologies and Architectural Design Research“ (ITECH) wurde die Forschung zum computerbasierten Design, der rotobotischen Fertigung und dem neuen Fasermaterialsystem weiterentwickelt. Das Projekt setzt eine Reihe experimenteller und hochinnovativer Gebäudedemonstratoren fort, die an den Instituten ICD und ITKE entworfen und realisiert wurden. Es vertieft die Zusammenarbeit der Exzellenzcluster livMatS an der Universität Freiburg und IntCDC an der Universität Stuttgart. IntCDC verfolgt das Ziel, das Planen und Bauen durch digitale Technologien neu zu denken, um so die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Herausforderungen der gebauten Umwelt zu adressieren. Die Vision von livMatS ist es, Natur und Technik zu verbinden, um zukunftsweisende und umweltschonende Material- und Energietechnologien zu entwickeln.

Details zur Konstruktion

Die tragende Struktur des Pavillons besteht aus 15 Flachsfaserelementen, die ausschließlich aus Naturfasern in einem kernlosen Faserwickelprozess robotisch vorgefertigt wurden. Ein Faser-Schlussstein bildet den Mittelpunkt der Struktur. Das charakteristische, filigrane Oberflächenbild der einzelnen Elemente des Bauwerks erinnert sowohl an traditionelle Fachwerkkonstruktionen als auch an die biologischen Vorbildstrukturen. Die einzelnen Elemente variieren in ihrer Gesamtlänge zwischen 4,50 bis 5,50 Metern und wiegen im Durchschnitt nur 105 Kilogramm. Die gesamte Faserkonstruktion wiegt bei einer Gesamtfläche von 46 Quadratmetern nur circa 1,5 Tonnen. Die Umsetzung der Konstruktion erfolgte durch die FibR GmbH Stuttgart, Industriepartner des Projekts.
 
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