Kontaktbeschränkungen fallen, Existenzängste und die Sorge vor einer vierten Corona-Welle bleiben: Mit Blick auf die psychische Belastung vieler Berufstätiger in Deutschland hat sich die Lage im ersten Halbjahr 2021 nur minimal entspannt. Wie Versichertendaten der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigen, sind Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten im Bundesdurchschnitt 42,5 Tage wegen Depressionen, Angststörungen, Burnout & Co. krankgeschrieben gewesen. Das sind zwar 1,2 Tage weniger als im ersten Corona-Jahr 2020, aber immer noch drei Tage mehr als 2019 vor der Pandemie. Auf Platz eins der häufigsten psychischen Diagnosen liegen im laufenden Jahr depressive Episoden mit bundesweit insgesamt rund 304.000 attestierten Fehltagen gefolgt von kurzzeitigen depressiven Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (rund 284.000 Fehltage).
Die längste durchschnittliche Fehlzeit aufgrund seelischer Leiden registriert die KKH aktuell mit 54 Tagen im Saarland, die kürzeste in Sachsen (35 Tage). Im Vergleich zum ersten Corona-Jahr 2020 hat sich allerdings die Lage in Sachsen-Anhalt am meisten zugespitzt: Dort verzeichnet die KKH mit 4,1 Tagen den größten Anstieg der durchschnittlichen Krankheitsdauer pro Fall. Am deutlichsten entspannt hat sich die Situation hingegen in Schleswig-Holstein und Thüringen mit einem Rückgang von mehr als fünf Fehltagen im ersten Halbjahr 2021.
Im Vergleich zu allen anderen Diagnosen liegen seelische Leiden auf Platz zwei hinter Rückenbeschwerden: Im ersten Halbjahr 2021 sind laut KKH-Daten bisher rund 19 Prozent der krankheitsbedingten Fehlzeiten psychisch bedingt. Das ist der höchste Wert in den vergangenen Jahren. Im ersten Corona-Jahr 2020 lag die Quote bereits bei knapp 18 Prozent, in den Jahren vor der Pandemie schwankte der Anteil noch zwischen 16 und 17 Prozent.
»Seit dem Ende des Lockdowns und der Möglichkeit zur Impfung gegen Covid-19 hat die psychische Belastung zwar etwas abgenommen. Wie unsere Daten zeigen, fühlen sich viele Berufstätige aber immer noch gestresster als vor der Pandemie. Außerdem ist der Anteil der psychischen Diagnosen im Vergleich zu anderen Erkrankungen seit der Krise noch einmal angestiegen«, sagt KKH-Wirtschaftspsychologin Antje Judick. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen schlagen die Corona-bedingte Wirtschaftskrise, Existenzängste, Unsicherheit und das Gefühl des Kontrollverlusts auf die Seele. Zum anderen können viele Berufstätige Arbeit und Privatleben im Homeoffice schlechter voneinander trennen. Die Folge: Überstunden und Stress durch ständige Erreichbarkeit. »Ein weiteres Problem für viele Mitarbeiter sind außerdem die Isolation und die Entfremdung vom Unternehmen im Homeoffice«, erläutert Judick. Ohne den direkten Kontakt zu den Kollegen und die gewohnten Strukturen im Arbeitsalltag fühlten sich Arbeitnehmer häufig demotiviert und orientierungslos, was ebenfalls seelischen Druck auslöse. »Gerade für psychisch vorbelastete Menschen können sich solche einschneidenden Veränderungen zusätzlich negativ auswirken«, sagt die KKH-Expertin.