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Warum Otto Waalkes einen traurigen Ottifanten auf eine Hamburger Litfaßsäule gemalt hat

Die Kulturlandschaft sieht sich dieser Tage nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie einem starken Wandel unterworfen. Viele Künstler bemängeln zu Recht den Umgang mit Kulturschaffenden dieser Tage. Exemplarisch dafür steht etwa der von Otto Waalkes unlängst auf eine Hamburger Litfaßsäule gemalte weinende Ottifant mit dem Schriftzug »Kultur in Hamburg«, den Waalkes auch in den sozialen Medien teilte und mit »Wie lange noch?« kommentierte. Andere Künstler wie etwa Rocco Indovina glauben, dass der Wandel unserer Kulturlandschaft nicht mehr aufzuhalten ist. Der internationale Smartphone-Künstler lebt aus Respekt vor Mensch, Tier und Natur vegan und erstellt seine Kunst digital, ehe sie auf Leinwand gedruckt wird.

Corona offenbart den Stellenwert von Kultur in Deutschland

Während der COVID-19-Krise war man in der Regierung sichtlich besorgt um die Wirtschaft. Hilfspakete wurden geschnürt und Wege gefunden, Arbeit, wenn möglich, im Homeoffice zu erledigen. Doch viele Wirtschaftszweige, wo Menschen eng nebeneinander arbeiten, liefen trotz Infektionsrisiko weiter. Das betraf sogar Großraumbüros. Auch die Bundesliga trug ihre Spiele aus, wenn auch mit leeren Stadien. Die Kulturbranche aber guckte in die Röhre. Kinos, Theater, Konzerte, Museen – alles wurde stillgelegt, obwohl bei genügend Abstand und richtiger Planung das Infektionsrisiko gerade im Vergleich zu vielen Arbeitsplätzen überschaubar gewesen wäre. Hilfszahlungen gab es zu wenige, zu spät. Viele Selbstständige in der Kultur- und Eventbranche, die keinen Promistatus genossen, verloren ihre Existenzgrundlage. Hier zeigte sich einmal mehr, welchen Stellenwert Kunst und Kultur in dem "Land der Dichter und Denker" heute wirklich hat. Corona machte jedoch nur unübersehbar, was die meisten Künstler schon lange wussten: Die meisten Menschen wollen Kulturgüter zwar konsumieren, schätzen aber die, die sie erschaffen, selten wert. Künstlerische Berufe werden belächelt, oft gar nicht als richtige Arbeit angesehen und bezahlen will man für Kulturgüter am liebsten auch nicht. Damit sind nicht nur Raubkopien gemeint. Oftmals wird von Kulturschaffenden erwartet, ihre Arbeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Beliebtes Argument hierbei: Wenn das Kunstwerk dann für andere sichtbar wäre, könne der Künstler doch damit Werbung für sich machen, weshalb er ja schon genug Nutzen aus seiner Arbeit ziehe. Der Cartoonist Ralph Ruthe widmete mit »Das ist doch auch Werbung für dich« – diesem Phänomen sogar einen Song.

Die Macht der Streamingdienste

Dass das Spiel aber auch umgekehrt funktioniert, bewies der Streamingdienst »Disney+« während der Pandemie. Verschiedene Filme wie »Mulan«, »Cruella« oder »Raya und der letzte Drache« und nun nach langem Warten auch »Black Widow«, die eigentlich fürs Kino produziert worden waren, dort aber, wenn überhaupt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelaufen wären, kamen direkt von den Walt Disney Studios zum hauseigenen Streamingdienst, allerdings mit kostspieligem VIP-Zugang. Das Vorgehen spaltete die Gemeinde der Filmfans in jene, die der Ansicht waren, Disney würde nun wahrlich nicht am Hungertuch nagen und der verlangte Preis von 21,99 Euro sei unverhältnismäßig hoch, und jene, die den Preis gegen Kinokarten für die ganze Familie aufrechneten und ihn als gerechtfertigt ansahen. Wirklich entscheidend ist aber die Frage, ob dieses Modell nach der Pandemie vielleicht bleiben wird und mitunter sogar ausgebaut und zur Regel wird. »Black Widow« etwa wird parallel auch im Kino zu sehen sein. Für den Disney-Konzern zahlt sich das Vorgehen gewiss aus, da er auch Menschen erreichen kann, die das Kino sonst eher meiden, und zudem den Reingewinn einstreichen kann und nicht mit den Kinobetreibern teilen muss. Genau die sind wiederum die Leidtragenden. Überhaupt wächst die Macht von Streamingdiensten wie »Disney+«, Prime-Video, Netflix, Maxdome oder Sky und das schon seit Jahren. Dies führt aber auch dazu, dass sich die Anbieter mehr und mehr gegenseitig im Weg stehen, da kaum jemand bereit ist, für fünf oder mehr Streaminganbieter zu bezahlen. Dies ruft nun vermehrt die längst in Vergessenheit geratenen illegalen Streamingplattformen wieder auf den Plan. Es ist also eine schwierige Entwicklung, die sich hier abzeichnet, weg vom Kinobesuch und Live-Event hin zum Stream, denn auch Tickets für Live-Streams sind ein neuer Trend seit Corona. Das paart sich dann mit einem in nie da gewesenem Ausmaß aufkeimenden Konkurrenzkampf der Studios und Streaminganbieter, die alle ihre eigenen exklusiven Inhalte haben werden.

Cancel Culture und ihre Folgen für die Kunst

Man könnte jetzt sagen, dass die Cancel Culture eine Entwicklung ist, die auch ganz ohne Corona gekommen ist, doch der Umstand, dass viele Menschen viel Zeit daheim vor dem Computer verbringen konnten oder mussten und die Gelegenheit hatten, die vermeintlichen Sünden von Personen des öffentlichen Lebens hervorzukramen, war gewiss förderlich. Sich mit dem Phänomen Cancel Culture differenziert auseinanderzusetzen, ist in etwa so schwer wie das künstlerische Schaffen zu Zeiten der Cancel Culture selbst. In ihrem Kern hatte die aus linken Kreisen kommende Woke Culture und die aus ihr entstandene Cancel Culture gewiss ein hehres Ziel: den Kampf gegen Diskriminierung und für ein größeres Bewusstsein für die Probleme und Nöte von Minderheiten. Da es zur Meinungsfreiheit gehört, sich auch gegenteiligen Meinungen zu stellen, hat es durchaus seine Berechtigung, verbale Entgleisungen Prominenter zu diskutieren und den damit verbundenen Meinungen zu widersprechen. Doch längst hat diese Bestrebung ganz andere Ausmaße angenommen und es kommt immer öfter vor, dass bestimmte Äußerungen abgesprochen werden, überhaupt Meinungen zu sein, was schon zu der Frage führt, wer bestimmen darf, was noch Meinung ist und was nicht mehr. Früher waren es Menschen wie Harvey Weinstein oder Bill Cosby, die auch damals schon öffentlich geächtet worden wären und das angesichts ihrer Taten wohl auch zurecht. Doch Äußerungen mussten früher schon extremer Natur sein, um dafür zu sorgen, dass ein Künstler gecancelt wurde. Statements wie das von Gina Carano, man werde als Republikaner in den USA behandelt wie Juden im Dritten Reich, hätte wohl auch vor zehn Jahren schon zu einer Kündigung von Lucasfilm und Disney geführt, was in Anbetracht der Tatsache, dass Walt Disney ein antisemitischer Kapitalist war, nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Doch erreichen wir zunehmend eine Entwicklung, bei der nicht nur jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird, sondern bei der auch die Kunst selbst, wenn sie diskriminierende Dinge darstellt, ins Kreuzfeuer gerät. Gerade für Satiriker wird die Arbeit zunehmend schwerer, da die Unterscheidung zwischen Bühnenfigur und der Person dahinter nicht immer leicht fällt. Doch hat Satire stets politische Inkorrektheiten zum Gegenstand gehabt und ausgesprochen. Da auch das kein Freibrief ist, wird Comedy immer mehr zur Gratwanderung und provokant zu sein, kann mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben. Das Hamburger Comedy-Urgestein Kay Ray etwa wurde Ende letzten Jahres nach jahrelanger Zusammenarbeit vom Schmidt-Theater wegen Beschwerden türkischer Kollegen und Theaterbesucher, die sich von den derben Witzen des Künstlers diskriminiert fühlten, entlassen. Dabei schießt Kay Ray seit jeher gegen alles und jeden einschließlich Minderheiten, denen er selbst angehört. Das macht ein weiteres Problem der Cancel Culture offenbar: Sie ist oftmals weit entrückt von den Minderheiten, für die sie sich starkmachen will, oder konzentriert sich einseitig auf bestimmte Minderheiten.

Die Kulturbranche ist also bedingt durch ein Zusammenspiel sozialer Medien, Streaming und den Folgen von Corona in vielerlei Hinsicht einem Wandel unterworfen. Wo dieser letztlich hinführt und ob manche Veränderungen auch wieder zurückgehen, kann man derzeit nur mutmaßen, aber viele glauben wie Rocco Indovina, dass wir erst am Beginn eines tief greifenden Wandels unserer Kulturlandschaft stehen.

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