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Foto FDP, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

Rülke-Interview: Ich beklage mangelnde Nehmerqualitäten

FDP-Präsidiumsmitglied, Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz und Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg Dr. Hans-Ulrich Rülke, gab der »Rhein-Neckar-Zeitung« in der Freitagsausgabe und der »Rhein-Neckar-Zeitung Online« das folgende Interview. Die Fragen stellte Sören S. Sgries …

Herr Rülke, Winfried Kretschmann klagte jüngst über »Stimmungsdemokratie«: Ist es auch Ihr Eindruck, dass sehr emotional über Kleinigkeiten diskutiert wird?

Es ist sicher so, dass in einer Situation, in der eine amtierende Kanzlerin nicht mehr antritt, ein besonderes Augenmerk auf die Personen gerichtet wird. Da sind auch scheinbare Kleinigkeiten von Interesse. Wenn man Kanzlerkandidaten ohne Kompetenzen präsentiert, muss man schon damit rechnen, dass die Persönlichkeiten in besonderer Weise hinterfragt werden.

Also haben die Klagen der Grünen über eine »Kampagne« eigentlich keine Substanz?

Da sind die »Grünen« selber schuld. Sie haben eine Person inszeniert als ganz besonders kompetent, als ganz besonders integer. Diese Integrität und Kompetenz soll ja die mangelnde Regierungserfahrung und vielleicht auch die mangelnde Lebenserfahrung kompensieren. Wenn man dann feststellt, dass es weder mit der Kompetenz noch mit der Integrität so weit her ist, muss man sich nicht wundern, dass man in schwere See gerät.

Auch Armin Laschet kann gerade wenig richtig machen: Ob er nun in Gummistiefeln oder in Lederschuhen ins Hochwassergebiet geht – es ist immer falsch.

Im Netz ist die Debattenkultur natürlich überhitzt. Bei Armin Laschet sind es aber eher Ungeschicklichkeiten, die sich da aneinander reihen. Im letzten Jahr hatte er mal die Maske falsch aufgesetzt. Dann das Lachen an der falschen Stelle. Die eine oder andere vielleicht abgeschriebene Stelle in einem Buch. Früher hat er mal Klausuren verschlampt und dann die Noten erfunden. Das sind alles, für sich genommen, keine großen Skandale. Aber es setzt sich ein Bild eines Politikers zusammen, der unglücklich agiert.

Ein falsches Bild?

Es wird Armin Laschet mit Sicherheit nicht gerecht. Im Unterschied zu Frau Baerbock regiert er seit mehr als vier Jahren durchaus erfolgreich ein großes Bundesland. Gerade wir als FDP haben da Erfahrung mit ihm, was seine Kompetenz und seine Vertrauenswürdigkeit angeht. Wir als FDP-Führung trauen Armin Laschet das Amt des Bundeskanzlers zu.

Sie haben im Interview mit der »Pforzheimer Zeitung« die Sehnsucht nach kantigen Typen von früher, wie CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus und SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, anklingen lassen. Wäre die beiden in diesen Zeiten noch zurechtgekommen?

Na, vielleicht sogar besser. Sie waren auch in der Lage, einzustecken in lebendigen Debatten. Ausgeteilt wird ja genauso wie damals. Was ich beklage, sind die mangelnden Nehmerqualitäten von manchen, die zwar ganz gut austeilen, aber wenn sie mal selber einstecken müssen, gleich am nächsten Tag einen Termin beim Psychotherapeuten machen.

Sie haben selbst Aufsehen erregt, als Sie von einem »Volkssturm« der Staatssekretäre im Innenministerium sprachen. Eine Wortwahl, zu der Sie weiterhin stehen?

Selbstverständlich. Ich wüsste nicht, was es da zurückzunehmen gibt. Zumal: Je länger diese Debatte dauert, desto mehr Beispiele für diesen Begriff aus der Vergangenheit tauchen auf - zuletzt auch bei einem CDU-Bundestagsabgeordneten, ohne dass Herr Strobl dessen Parteiausschluss gefordert hätte. Da ist viel Heuchelei dabei. Alle Versuche, mich in die rechte Ecke zu rücken, gehen fehl in einer Situation, wo es noch nicht lange her ist, dass CDU und Grüne einen AFD-Mann in Baden-Württemberg zum stellvertretenden Verfassungsrichter gewählt haben. Das ist der eigentliche Skandal.

Sie waren ja wahrlich nie bekannt dafür, zu sanfte Reden zu halten. Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet jetzt so viel Aufgeregtheit herrscht.

Einerseits ist es der Wahlkampf, ganz klar. Und wir sehen auch die Umfrageentwicklung im Land. Zuletzt lag die FDP bei der Sonntagsfrage bei 17 Prozent – das haben wir nicht mehr geschafft seit Reinhold Maier – und die CDU bei 22 Prozent. Kein Wunder, dass man da nervös wird.

Umgekehrt schonen FDP und auch SPD Grün-Schwarz derzeit wahrlich nicht. Hand aufs Herz: Wie groß ist bei Ihnen noch die Enttäuschung, dass aus der »Ampel« nichts wurde?

Es gibt in Baden-Württemberg prekärere Erwerbsbiografien, als Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion zu sein. Und zum Zweiten: Es kommt darauf an, wie sich die Dinge entwickelt hätten. In den Sondierungsgesprächen ist ja deutlich geworden, was Winfried Kretschmann von seinen Koalitionspartnern erwartet. Mein Eindruck ist: Hätte die FDP diese Erwartungen erfüllt, würden wir zwar regieren, aber in der Regierung eine ziemlich traurige Existenz fristen – vergleichbar jetzt mit der CDU. Lieber in der Opposition mit aufrechtem Gang als auf Knien regieren.

Aber es gab durchaus die Gefahr, in einer Koalition mit Winfried Kretschmann Politik mittragen zu müssen, die einem nicht gefällt?

Rülke: Winfried Kretschmann und die Grünen haben die Wahl gewonnen. Und sie waren in einer strategisch außerordentlich komfortablen Lage. Es hätte ja die Alternative einer Deutschlandkoalition gegeben. Aber die CDU hat sich die Führung des Landes gar nicht mehr zugetraut. Sie wollten nur noch Juniorpartner der Grünen sein. Wir hätten auch Kompromisse gemacht. Aber es gibt eine Schmerzgrenze.

Hätte denn die SPD mit Andreas Stoch dabei mitgemacht, eine CDU-Ministerpräsidentin zu wählen?

Andreas Stoch hat nie die Option einer Deutschlandkoalition ausgeschlossen. Es wäre für ihn gegenüber seinem Parteitag nicht einfach vermittelbar gewesen. Aber er war mit Sicherheit nicht glücklich darüber, dass die CDU von vorneherein die Führung aufgegeben hat.

Schauen wir auf die Bundesebene: Da könnte die Deutschlandkoalition auch eine Option werden.

Wir haben durchaus den Anspruch, zu regieren. Armin Laschet ist jemand, dem wir das Kanzleramt zutrauten. Und wir haben das Vertrauen, dass er mit der FDP fair umgeht – was Angela Merkel nie getan hat. Am liebsten wäre uns natürlich, es würde mit der CDU alleine reichen. Realistisch ist, dass man einen dritten Partner braucht. Die Deutschlandkoalition wäre eine interessante Perspektive, um den grünen Einfluss zu begrenzen.

Bräche Olaf Scholz da nicht die Parteibasis weg?

Ich bin, Gott sei Dank, nicht auch noch für den Wahlkampf der SPD zuständig. Eine gewisse Sehnsucht nach der Opposition mag es in Teilen der SPD geben. Aber die gab es auch vor vier Jahren. Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, hat damals die SPD daran erinnert, dass sie nicht deswegen gewählt wurde, damit Kevin Kühnert sich in Kreuzberg wohlfühlt, sondern dass damit auch eine gewisse Verantwortung verbunden ist. Das ist einer der Gründe, warum wir der Meinung sind, Frank-Walter Steinmeier sollte Bundespräsident bleiben.

Sie werben also recht offensiv damit, dass Sie im Falle einer Koalition dem SPD-Politiker Steinmeier eine zweite Amtszeit ermöglichen würden?

Wir unterstützen nicht deshalb Frank-Walter Steinmeier, weil wir auf eine Deutschlandkoalition abzielen. Aber wir hätten schon ein Interesse, dass er Bundespräsident bleibt – und da sind die Chancen natürlich besser, wenn die SPD der nächsten Bundesregierung angehört.

Und wenn die Grünen das Vorschlagsrecht bekämen: Dann hoffen Sie darauf, dass Winfried Kretschmann aus Stuttgart weggelobt wird?

Ich denke schon, dass Winfried Kretschmann a) zu den möglichen Kandidaten zählt, und b) keine 30 Sekunden Bedenkzeit bräuchte, wenn man ihn fragen würde.

Würde er Ja oder Nein sagen?

Er würde Ja sagen. Ganz sicher. Er hatte beim letzten Mal schon erhebliches Interesse und hatte offensichtlich mit Frau Merkel schon eine entsprechende Vereinbarung, die an Horst Seehofer gescheitert ist. Seither bemüht er sich darum, dass sein Verhältnis zur CSU so innig ist, wie es inniger nicht sein könnte. So romantisch, wie Winfried Kretschmann um Markus Söder wirbt, habe ich um die Hand meiner Frau nicht angehalten.

Ein Abgang des Ministerpräsidenten würde Baden-Württemberg aber Stabilität kosten.

Ich begreife Herrn Kretschmann nicht als stabilisierenden Faktor. In seiner dritten Amtszeit ist er nur dadurch aufgefallen, dass er einen – auch nach Einschätzung des Rechnungshofes - verfassungswidrigen Nachtragshaushalt vorgelegt und uns nutzlose Staatssekretäre beschert hat. Wenn das alles ist, was er zu bieten hat, wäre es Zeit für einen Amtswechsel.

Und dann hoffen Sie auf eine neue Chance für die »Ampel«?

Die FDP ist jederzeit bereit, über die Übernahme von Verantwortung zu reden. Es ist ja kein Geheimnis, dass am 1. April sowohl die Grünen-Fraktion als auch die Mehrheit des Grünen-Landesvorstands lieber eine Koalition gehabt hätte, in der sich ökonomische Vernunft, ökologisches Bewusstsein und soziale Verantwortung verbinden. Allein Winfried Kretschmann hat durchgesetzt, dass man mit der CDU weiterwurstelt. Also kann man durchaus davon ausgehen, dass die Karten neu gemischt würden, falls Winfried Kretschmann Bundespräsident würde.

Und was wäre Ihnen jetzt wichtiger: Schwarz-Gelb in Berlin oder die Chance auf ein Regierungsamt in Stuttgart, weil Schwarz-Grün Winfried Kretschmann ins Schloss Bellevue holt?

Ich sehe da kein Entweder-Oder. Für eine künftige Bundesregierung wäre Schwarz-Gelb die beste Koalition. Es wird aber nach heutigem Stand vermutlich nicht eintreten. Da bin ich Realist. Und was die Ampel in Baden-Württemberg angeht: Die kann ich ja nicht herbeiwünschen, da muss man ein Bündnis finden. Wir als FDP werden nicht nur regieren um des Regierens Willen.

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