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Lila gefärbte, mikrobielle Matten im Middle Island Sinkhole im Lake Huron, Juni 2019. Kleine Hügel und „Finger“ wie dieser entstehen durch Gase wie Methan und Schwefelwasserstoff verursacht, die unter der Oberfläche der Matten blubbern. Foto: Phil Hartmeyer, NOAA Thunder Bay National Marine Sanctuary, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

Ein langer Tag für Mikroben

Das heutige Leben auf der Erde ist ohne Sauerstoff unvorstellbar. Wie es allerdings zum schrittweisen Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre kam, der sich über einen Zeitraum von fast zwei Milliarden Jahren vollzog, ist bislang nicht klar. Eine spannende Erklärung liefert nun ein internationales Forschungsteam um Judith Klatt vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen: Zunehmend längere Tage, verursacht durch die Verlangsamung der Erdrotation, könnten dazu geführt haben, dass Mikroben mehr Sauerstoff freisetzten und so die Luft schufen, die wir heute atmen.

Praktisch der gesamte Sauerstoff auf der Erde entstand und entsteht durch Fotosynthese. Sie wurde von Cyanobakterien erfunden, als unser Planet noch ein recht unwirtlicher Ort war. Cyanobakterien entwickelten sich vor mehr als 2,4 Milliarden Jahren, aber die Erde wandelte sich nur langsam zu dem sauerstoffreichen Planeten, den wir heute kennen. »Noch ist nicht ganz klar, warum es so lange gedauert hat und was genau die Sauerstoffanreicherung auf der Erde steuerte«, sagt Judith Klatt, Geomikrobiologin am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie. »Aber als ich Cyanobakterien im Middle Island Sinkhole im Lake Huron in Michigan untersuchte, die unter Bedingungen leben, die der frühen Erde ähneln, kam mir eine Idee.«

Klatt arbeitete mit einem Team von Forschern um Greg Dick von der Universität Michigan, USA, zusammen. Das Wasser im Middle Island Sinkhole, wo Grundwasser aus dem Seeboden sickert, enthält sehr wenig Sauerstoff. »Auf dem Boden des Sees leben vor allem Mikroorganismen in sogenannten Matten. Dieser Lebensraum ist wie ein Abbild der Bedingungen, die auch für viele Milliarden Jahre auf der Erde herrschten«, erklärt Bopi Biddanda, Ökologe von der Grand Valley State University, USA.

Die Bewohner sind größtenteils lilafarbene, sauerstoffproduzierende Cyanobakterien, die mit weißen, schwefeloxidierenden Bakterien konkurrieren. Erstere erzeugen Energie mit Sonnenlicht, letztere mit Hilfe von Schwefel. Um zu überleben, führen diese Bakterien jeden Tag einen kleinen Tanz auf: Vom Abend bis zum Morgengrauen liegen die schwefelfressenden Bakterien über den Cyanobakterien und versperren ihnen den Zugang zum Sonnenlicht.

Wenn morgens die Sonne aufgeht, bewegen sich die Schwefelfresser nach unten und die Cyanobakterien steigen an die Oberfläche der Matte. »Jetzt können sie anfangen, Fotosynthese zu betreiben und Sauerstoff zu produzieren«, erklärt Klatt. »Allerdings dauert es ein paar Stunden, bis sie richtig loslegen. Die Cyanobakterien sind wohl eher Langschläfer als Frühaufsteher.« Daher haben sie auch nur wenige Stunden am Tag Zeit für die Fotosynthese. Als Brian Arbic, physikalischer Ozeanograph an der Universität Michigan, von diesem täglichen mikrobiellen Tanz hörte, warf er eine spannende Frage auf: »Könnte es sein, dass die Veränderung der Tageslänge die Photosynthese im Laufe der Erdgeschichte beeinflusst hat?«

Die Tage auf der Erde waren nicht immer 24 Stunden lang. »Als das Erde-Mond-System entstand, waren die Tage viel kürzer, vielleicht sogar nur sechs Stunden«, so Arbic. Dann drehte sich die Erde zusehends langsamer, verursacht durch die Anziehungskraft des Mondes und die bremsende Wirkung der Gezeiten. Die Tage wurden länger. Einige Forscher vermuten zudem, dass diese Entschleunigung der Erde für etwa eine Milliarde Jahre unterbrochen war, zeitgleich mit einer langen Periode niedriger Sauerstoffwerte. Nach dieser Unterbrechung, als sich die Erdrotation vor etwa 600 Millionen Jahren wiederum zu verlangsamen begann, kam es zu einer weiteren großen Veränderung in der globalen Sauerstoffkonzentration.

Als Klatt diese verblüffende Ähnlichkeit im Muster des Sauerstoffgehalts und der Drehung der Erde in geologischen Zeiträumen bemerkte, kam ihr die Idee von einer Verbindung zwischen den beiden – eine Verbindung, die über die »Langschläfer«-Verzögerung der Fotosynthese im Middle Island Sinkhole hinausging. »Mir wurde klar, dass die Tageslänge und die Produktion von Sauerstoff in mikrobiellen Matten durch ein sehr grundlegendes und fundamentales Konzept miteinander verbunden sind: Sind die Tage kürzer, bleibt weniger Zeit, in der sich ein Gradient (ein Konzentrationsgefälle des Sauerstoffs) bilden kann. Dadurch kann auch weniger Sauerstoff aus den Matten entweichen«, so Klatts Hypothese.

Klatt tat sich mit Arjun Chennu zusammen, der damals ebenfalls am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie arbeitete und heute seine eigene Gruppe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen leitet. Chennu entwickelte eigens für diese Studie eine Open-Source-Software. Mit deren Hilfe untersuchten sie, wie die Dynamik des Sonnenlichts mit der Freisetzung von Sauerstoff aus den Matten zusammenhängt. »Intuitiv würde man meinen, dass zwei Zwölf-Stunden-Tage so ähnlich wie ein 24-Stunden-Tag sind. Die Sonne geht doppelt so schnell auf und unter, und die Sauerstoffproduktion folgt im Gleichschritt. Tatsächlich tritt aus den Bakterienmatten aber weniger Sauerstoff aus, weil seine Freisetzung durch die Geschwindigkeit der molekularen Diffusion begrenzt ist. Diese subtile Entkopplung der Sauerstofffreisetzung vom Sonnenlicht ist das Herzstück des nun präsentierten Mechanismus«, sagt Chennu.

Wie können sich die innerhalb eines Tages ablaufenden Prozesse auf die langfristige Sauerstoffanreicherung auswirken? Um das zu verstehen, fügten Klatt und ihr Team ihre Ergebnisse in globale Modelle des Sauerstoffgehalts ein. Dabei zeigte sich, dass die durch längere Tage erhöhte Sauerstofffreisetzung tatsächlich den weltweiten Sauerstoffgehalt zum Ansteigen gebracht haben könnte. Es ist eine Verbindung zwischen der Leistung winziger Lebewesen und globalen Prozessen. »Wir verknüpfen physikalische Gesetze in sehr unterschiedlichen Größenordnungen – die molekulare Diffusion mit der planetaren Mechanik. So wird klar: Wie lang die Tage sind und wieviel Sauerstoff die Mikroben freisetzen können, ist grundlegend verbunden«, so Chennu. »Das ist ziemlich aufregend. Wir verbinden so den Tanz der Moleküle in einer mikrobiellen Matte mit dem Tanz unseres Planeten und seines Mondes.«

Insgesamt könnten die beiden großen Phasen der Sauerstoffanreicherung in der Erdgeschichte – das Große Oxigenierungssereignis vor mehr als zwei Milliarden Jahren und das spätere Neoproterozoische Oxigenierungsereignis – also mit den zunehmend längeren Tagen zusammenhängen. Die längeren Tage hätten demnach die Produktivität der Mikroben am Boden ausreichend angekurbelt, um den atmosphärischen Sauerstoffgehalt zu verändern. »Mit dieser großen Bandbreite an zeitlichen und räumlichen Größen zu jonglieren war ziemlich verrückt – und hat viel Spaß gemacht«, schließt Klatt.

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