Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Trotz ständiger Fleischskandale lieben die Gütersloher Billigfleisch und kaufen es am liebsten beim Discounter – auch diejgenigen, die sich eigentlich Qualität leisten können. Ein Ernährungspsychologe erklärt, warum das so ist.
»Fleisch ist ein Stück Lebenskraft«, sagt die Fleischindustrie. Dieser Spruch macht aus dem tierischen Rohstoff ein stärkendes Nahrungsmittel und wird nicht erst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg überliefert.
Fleisch war einst rar und wird von den Güterslohern seit jeher besonders geliebt. Die Deutschen haben 2020 mehr als 57 Kilo Fleisch pro Kopf gegessen. Kosten soll es freilich möglichst wenig. Und wenn man Einzelne befragt, kauft natürlich jeder ausschließlich Biofleisch vom regionalen Erzeuger. Die Zahlen beweisen freilich das Gegenteil, und soviel Biofleisch gibt es gar nicht.
Fleisch wird heute auf der ganzen Welt als Massenartikel produziert – auf Kosten des Tierwohls. Massenproduktion und artgerechte Tierhaltung schließen sich aus. Für die Tiere in den Mastbetrieben bedeutet das: wenig Platz, wenig Licht, billiges Futter, ein Leben im eigenen Dreck, Antibiotika und oft auch eine verächtliche Handhabung der Kreatur.
Obwohl die Gütersloher längst über die unsäglichen Bedingungen, unter denen das Fleisch für Supermärkte und Discounter hergestellt wird, Bescheid wissen, greifen sie fröhlich zu. Hygieneskandale können sie nicht davon abhalten.
Warum ist das so? Warum isst die Masse der Gütersloher Billigfleisch? Der Ernährungspsychologe Johann Christoph Klotter, Professor für Gesundheits- und Ernährungspsychologie an der Hochschule Fulda, erklärt das mit dem seit Jahrtausenden bestehenden Prestigefaktors des Lebensmittels. So stehe Fleisch für »Überleben, Wohlstand und Macht«. Heutzutage, wo Fleisch für jedermann erschwinglich sei, könnten auch die finanziell schlechtergestellten beim Fleischessen symbolisch am allgemeinen Wohlstand teilnehmen.
Natürlich kursiert auch die Erzählung, Fleisch habe dem Urmenschen überhaupt erst die Energie geliefert, damit sein Gehirn habe wachsen können. Man könnte meinen, dass demnach viele Leute noch viel zu wenig Fleisch äßen. Aber selbst wenn das so wäre, was durchaus nicht belegbar ist, dann wäre das Gehirn des Urmenschen gewachsen – es wächst aber nunmehr nicht mehr, denn es ist ja schon gewachsen. Und Fleisch ist nun einmal ein Milliardenbusiness und hat eine große Lobby. Tierleid will niemand, aber nicht so sehr nicht, als dass man auf Fleisch verzichtete oder den Konsum einschränkte.
Weiterhin sagt Klotter, Fleisch vermittele »Ernährungssicherheit« – deshalb würden die sozialen und ökologischen Konsequenzen des Fleischkonsums verdrängt. Dass auch Besserverdienende Billigfleisch kaufen, obwohl sie sich Bioqualität leisten können, ist nach seiner Ansicht ein deutschlandspezifisches Phänomen. Der Anteil an verkauftem Biofleisch liegt im einstelligen Prozentbereich – die Zahlen sprechen für sich. Klotter meint, die Deutschen seien insgesamt geizig beim Essen, und zwar über alle Schichten hinweg.
Nur 13 Prozent ihres Einkommens geben die Deutschen für Essen aus, während beispielsweise die Franzosen 30 Prozent investieren. Schon vor mehr als 2.000 Jahren hätten Historiker verschriftlicht, dass die Germanen sich sehr einfach ernährten, und diese geringe Wertschätzung für gutes Essen habe sich bis heute gehalten. »Die Deutschen haben keine Esskultur« und seien auch keine Genussmenschen, so Klotter. Statt eines hochwertigen Steaks kaufe man lieber einen teuren Grill, denn damit könne man sich inszenieren.
Neben den niedrigen Preisen spielt auch die Gewohnheit eine Rolle. Sie sorgt dafür, dass sich Gütersloher trotz Gammelfleischskandalen nicht von Billigfleisch abschrecken lassen. Wenn also schon die Eltern in der Tiefkühltheke nach der gefrorenen Schweinshaxe gegriffen haben, tut der Nachwuchs wahrscheinlich das Gleiche, denn Kinder lernen durch Nachahmung.
Und gerade wurde die VW-Currywurst von Exkanzler Schröder zur Nahrungsgrundlage der VW-Arbeiter hochstilisiert und das vermeintliche »Currywurstverbot« wird heiß diskutiert, obwohl es gar nicht stattfindet.