Im Zuge von Corona haben manche Worte ihre einst sachliche, neutrale oder biologische Bedeutungshoheit eingebüßt. Abbildung: Adobe Stock, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Mutanten, 3G und Inzidenzen: So verändert Corona unsere Alltagssprache
Seit mehr als eineinhalb Jahren dominiert ein Thema das gesellschaftlichen Leben in einem Umfang, wie es in den vergangenen Jahrzehnten wohl kaum vorgekommen ist: Corona. Die Pandemie, ihre Hintergründe, Umstände und Auswirkungen, hat den Nimbus einer vorübergehenden Phase längst verlassen. »Das ist nach sechs Wochen ohnehin alles vorbei!« Diese anfängliche Meinung mussten wir schnell revidieren und stattdessen feststellen, dass #Corona das Leben im Alltag verändert – bis hinein in unsere Sprache.
Corona hat uns eine veränderte Lebenswirklichkeit beschert und alles, was eine Lebenswirklichkeit bestimmt, verändert oder dominiert, hinterlässt Spuren in der alltäglichen Sprache. Die veränderte Sprache ist immer auch eine Reaktion dieser Veränderungen, wie es vor einigen Wochen Friedemann Vogel, Professor für Sozio- und Diskurslinguistik an der Universität Siegen, festgehalten hat.
Da sind auf der einen Seite die offensichtlichen Aspekte, dass es neue Wörter in den Alltag geschafft habe. Es sind Wortschöpfungen wie »Stoßlüften«, was wohl vor zwei Jahren noch anders interpretiert wurde. Auch Begrifflichkeiten wie »3G«, »Stay Home«, »AHA-Regel«, »Antigenselbsttest«, »digitaler Impfnachweis« und »Covid-Kredit« sind plötzlich da und kaum noch wegzudenken.
Gewanderte und emotionalisierte Begriffe
Spannend sind nicht nur die neuen Begriffe, sondern dass auch vieles, was ursprünglich streng wissenschaftlich war, durch eine ungeheure Dynamik der Sprachentwicklung im breiten Alltag angekommen ist. Es sind oft Worte, die aus der Fachdiskussion entstammen, wie »R-Wert« und »Inzidenz« – und jetzt von einem Großteil der Bevölkerung genutzt werden. In den letzten Monaten sind nicht nur Begriffe in die Alltagssprachen gewandert, sondern werden genau dort auch mit einer emotionalen Note verknüpft. Manche Worte haben ihre einst sachliche, neutrale oder biologische Bedeutungshoheit eingebüßt. »Mutant« ist kein eigentlicher, biologischer Beschrieb mehr, sondern wird unterdessen negativ konnotiert.
Durch den Einzug von wissenschaftlichen Begriffen in die Alltagskommunikation gibt es Bedeutungsverschiebungen. Das wiederum mündet in eine gewichtige These, nämlich dass sich Sprache und Kommunikation in einem Ausnahmezustand noch stärker verändern. Denn gerade in Krisen wird die sprachliche Sensibilität der Menschen höher. Begriffe und Worte beschreiben die emotionale Landkarte, werden schneller abgewogen und vor allem mit der eigenen Haltung und dessen Idealen abgeglichen. Bereits beim Verb »impfen« entstehen Emotionen, die unter Umständen eine angeheizte Stimmung verursachen können.
Alltagssprache, die nie mehr sein wird, wie vorher
Diese Entwicklung ist gerade in den letzten Monaten spürbar, eklatant und auch nachzuweisen. Die Sprache wird zu einer Art Freund- und Feind-Sprache. Selbst unverdächtige Aussagen wie »Ferien machen« tragen bereits den Keim fundamentaler Diskussionen in sich. »Darf man denn jetzt Ferien machen?« oder »Ohne Impfung geht hier nichts mehr« sind Beispiele dafür. Man läuft seit einiger Zeit Gefahr, dass die Stimmung oft quer durch Familien Konfliktkeile zwängt. Das ist das eine. Die Sprache hat unterdessen gerade in Zeiten, in der man sich in Bubbles nicht mehr argumentativ austauscht, sondern einfach die eigene Meinung bestätigt haben möchte, eine neue Bedeutung. Das ist das andere.
Sehr oft prägt eine andauernde Krise gerade auch die Alltagssprache, die nie mehr sein wird, wie vorher. War sie auch nie, denn Sprache ist etwas dynamisches und auch immer Abbild der Zeit, in der sie lebt. Das ist zweifelsohne auch ein positives Zeichen, dass eine Sprache lebt. Mit der nötigen Reflektion darüber sollte es aber auch gelingen, immer wieder sich kritisch zu hinterfragen, welche Bedeutung das hat, was man im Alltag gerade so von sich gibt.
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Über den Autor
Stefan Häseli ist Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor mehrerer Bücher. Er betreibt ein Trainingsunternehmen in der Schweiz. Der Kommunikationsexperte begleitet seit Jahren zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen. Er doziert an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation. Als Experte nimmt er im #Radio und #TV-Stationen immer dann Stellung, wenn Kommunikation irgendwo auf der Welt gerade eine entscheidende Rolle spiel, wie beispielsweise die ersten Wochen »Donald Trump« oder der Blick auf das Kommunikationsverhalten von Boris Johnson.
Die Kommunikation in ihren unterschiedlichen Welten und die Details in der Sprache faszinieren ihn und prägt seinen beruflichen Werdegang. Er begeistert in seinen Fachartikel und Kolumnen mit feinsinnigem Humor. In seinen Vorträgen und Seminaren vermittelt er Wissen kurzweilig und gespickt mit Beispielen aus der Praxis sowie amüsanten Anekdoten – stets mit einem liebevollen Augenzwinkern. Sein neuestes Buch »Glaubwürdig – von Schauspielern fürs Leben lernen« beleuchtet er anhand erfrischender Denkansätze, wie wir unsere Selbstwirksamkeit kritisch hinterfragen, glaubwürdig und authentisch rüberkommen und unsere Rollen und den Umgang mit Erwartungen besser gestalten können. Als ausgebildeter Schauspieler mit jahrelanger Bühnenerfahrung schreibt er ganze Abendprogramme selbst. Dazu kommen Engagements in Kino-Filmen, TV-Serien, TV-Werbespots und Schulungsfilmen.