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»Krüsi am Zug«, auch eine Kuh kann Optimist sein, 6. März bis 10. Juli 2022, Museum am Lagerhaus
Mit der Ausstellung »Krüsi am Zug« erinnert das Museum im Lagerhaus an das womöglich aussergewöhnlichste Werk des international bekannten Art Brut Künstlers Hans Krüsi (1920 bis 1995): den 1992, vor 30 Jahren bemalten Velowagen der Appenzeller Bahnen.
»Bahn frei dem Tüchtigen«
Diesen Ausspruch hält Hans Krüsi (1920 bis 1995) auf einer Papierserviette fest. 1992 erhält er den Auftrag, einen Velowagen für die Appenzeller Bahnen zu bemalen. Täglich wird er von einem Mitarbeiter der Appenzeller Bahnen abgeholt und zum Bahndepot nach Herisau AR gefahren, wo er zunächst im Bahnhofs-Café ein Frühstück einnimmt und sich dann an die Arbeit macht. Neun Blechtafeln werden rundherum an den Velowagen montiert, die Hans Krüsi mit Bildern des Appenzellerlandes bemalt. Sein Honorar für die Auftragsarbeit ist ein lebenslanges 1. Klasse-Billet für freie Fahrt mit den Appenzeller Bahnen. Am Freitag, den 9. Oktober 1992, wird der fertig bemalte Wagen erstmals aus dem Bahndepot gerollt und Mitte November mit einer Vernissage eingeweiht.
Im Zentrum der Ausstellung Krüsi am Zug stehen die neun Tafeln der Appenzeller Bahnen, die dreissig Jahre nach ihrem Einsatz am Zug erstmals wieder öffentlich zu sehen sind. Es ist ein aussergewöhnliches Werk, das der Künstler im Alter von 72 Jahren geschaffen hat und in dem sowohl seine kulturelle und regionale Verwurzelung wie auch seine Liebe fürs Appenzellerland besonders stark zum Ausdruck kommen. Die Tafeln stehen als Vehikel für Krüsis Kunst, in der Ausstellung umrahmt von weiteren Darstellungen von Landschaft, Natur, Mensch und Tier.
Experimentierlust und Schaffensdrang: zur Kunst von Hans Krüsi
Die Ausstellung gibt Einblick in Krüsis grosse Experimentierlust. Der autodidaktische Künstler verarbeitet jedes Material, das er finden kann. Er nutzt allmögliche, oft sogar selbst erfundene Techniken der Bild, Wort, Ton und Objektgestaltung. Krüsis Audioexperimente lässt Michael Stauffer, genannt Dichterstauffer, in einer Spoken Word-Performance zur Ausstellung Krüsi am Zug im Museum im Lagerhaus lebendig werden.
Hans Krüsi ist ein Lebenskunstwerker, sein Kunstschaffen erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Sein kaum überschaubares Werk umfasst Tausende von Arbeiten. 1975 beginnt er auf Servietten und Postkarten zu zeichnen. Bei den Servietten entdeckt er das Spiel der durchdrückenden Farbe, der Pause und Doppelung. Erste Arbeiten mit Sprayfarbe, Pflanzenteilen und Abklatschtechnik entstehen. Daneben baut Krüsi auch Objekte und verarbeitet nicht nur Fund- und Abfallmaterialien, sondern recycelt ebenso seine eigenen Arbeiten oder nutzt diese für alltägliche Bedürfnisse, beispielsweise Zeichnungen als Gardinen. Er bedient sich allem, was nicht niet und nagelfest ist, und bemalt alles. Er lebt inmitten all dieser Dinge und gestaltet seinen Lebensraum zu einem wahren Environment. »Ich sammle überall Dinge auf«, erklärt Krüsi, »die dann auf meinen Bildern enden – oder meine Bilder in ihnen.«
Krüsi ist viel in der Natur unterwegs. Hier findet er Frieden. Er macht Ausfahrten mit seinem Mofa, zeltet im Wald, nimmt dort Töne auf Band auf, die er später spielerisch zu wahren Krüsi Konzerten sampelt. Mit den Tieren spricht er mehr als mit Menschen. Mit Vergnügen identifiziert er sich mit dem als »dumm« verlachten Esel. Doch die Kuh ist Krüsis wichtigstes Tier – weil sie so treu sei, wie er einmal sagt. Kühe begleiten ihn sein Leben lang: gezeichnet, gemalt, als künstlerisch überarbeitete Werbebilder auf Milchpackungen oder in meterlangen Kuhstreifen für seine »Kuhmaschinen«, mit denen er frei gestaltete Alpfahrten im »Lauf« lebendig werden lässt, wenn er an der Maschine kurbelt.
Hans Krüsi (1920 bis 1995) , vom »Blumenmannli« zum »Genie von der Straße«
Nahezu märchenhaft klingt sein Weg vom verlachten Sonderling zum Kunstkometen. Geradezu paradigmatisch erfüllt Hans Krüsi die Merkmale eines Art Brut-Künstlers. Hans Krüsi (geboren am 15. April 1920 in Zürich, gestoreben am 9. September 1995 in Sankt Gallen) wächst in Speicher AR bei Pflegeeltern und im Waisenhaus auf. Eine frühe Tuberkuloseerkrankung belastet ihn zeitlebens. Er ist sozial vereinsamt, hat wenige Kontakte und familiäre Bindungen. Krüsi entfernt sich von bürgerlichen Ordnungen und Normen. Seine Wohnverhältnisse führen wiederholt zu Beanstandungen, Mahnungen, Zahlungsaufforderungen, gerichtlichen Verfügungen und Verweisen aus dem Haus. Zudem hält er auch noch Tauben in der Wohnung. Er führt ein Leben am Rande des Existenzminimums, das geprägt ist von Angst vor Zurechtweisung, Klage und Vertreibung. Er ist ein Sonderling, ein gesellschaftlicher Aussenseiter. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Knecht, Gärtnergehilfe und ab 1948 über 30 Jahre lang als Blumenverkäufer an der Zürcher Bahnhofstrasse. Das Bahnfahren ist essenziell in Krüsis Leben. Er fährt fast täglich mit dem Zug von St. Gallen nach Zürich und ist als »Original« stadtbekannt. Die Bahn darf hier als erweiterter Lebensraum Hans Krüsis gesehen werden.
1975 beginnt er zu zeichnen und zu malen und bietet seine Bilder neben den Blumen für wenige Franken zum Kauf an – nicht selten verschenkt er sie auch zu den Blumen. Die erste Ausstellung hat Krüsi 1975/76 in der Blumengrosshandlung von Hans Fischer in St. Gallen. Der Durchbruch folgt 1981 mit einer Ausstellung in der St. Galler Galerie Buchmann und bei Anton Meier in Genf, 1990 zeigt das Museum im Lagerhaus die erste Retrospektive. Die Presse feiert den Blumenverkäufer als »Genie von der Strasse«. Er kann schliesslich von der Kunst leben. Heute zählt Hans Krüsi zu den bedeutendsten Art Brut-Künstlern der Schweiz.
Auch eine Kuh kann Optimist sein
Hans Krüsis Ausspruch »Auch eine Kuh kann Optimist sein – auch wenn sie friert« ist nicht nur eine Lebensweisheit des Künstlers, sondern auch Impulsgeber für die Dialogausstellung zu Krüsi am Zug. Krüsis kulturelle Prägung zeigt sich auch in seiner Kunst. Auffallend ist dabei die Präsenz der Kuh. Der Visualisierung seiner eigenen Verwurzelung werden in der Ausstellung dialogisch und spielerisch-assoziativ Werke der Sammlung gegenüber gestellt.
Ausgewählte Arbeiten zeigen weiter, wie Krüsi von den zeitgenössischen St. Galler Künstlern H.R. Fricker, Marcus Gossolt und Rolf Hauenstein oder dem Fotografen Hannes Schmid als Künstler in St. Gallen wahrgenommen und porträtiert wurde. Von Siegfried Kuhn stammt die Titelfotografie Hans Krüsi beim Bemalen des Bahnwagens, während Regina Kühne Krüsi auf seinen Streifzügen durch die Stadt mit der Kamera begleitet und Mario Del Curto, bekannt für seine Film- und Fotodokumentationen von Outsider Art Künstler, den Fokus auf das Sozialgefüge richtet.
Eine besondere Beziehung scheint zwischen Hans Krüsi und der Sankt Galler naiven Malerin Hedi Zuber (1916 bis 1996) bestanden zu haben. Bei Krüsi hängen kleine Werke von Hedi Zuber an der Wand, umgekehrt bezieht sich Hedi Zuber in verschiedenen Arbeiten wiederholt auf Krüsi. Sie porträtiert ihn als »Blumenmannli« oder mit typischen Merkmalen seiner eigenen Kunst oder nach Fotografien, die sie wohl in der Zeitung gesehen hat. Überraschend ist eine Serie von Karten, die Hans Krüsi im Bad zeigen.
Augmented Reality
Ausgewählte Werke der beiden Ausstellungen werden mit Augmented Reality bespielt. Damit stehen dem Publikum via Tablet und eigenem #Smartphone vertiefte Erzählungen zu den Werken, zur Biografie des Künstlers, Fotodokumentationen, Bildvergleiche bei einem individuellen Ausstellungsrundgang zur Verfügung. Besonders beliebt sind die Kurzvideos mit persönlichen Erläuterungen zu den Werken sowohl seitens der wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums als auch von Schüler. Mit ihnen können die Besucher jederzeit ihre persönliche Ausstellungsführung erleben. Schüler fungieren hier als junge Museumsbotschafter und führen andere Schüler in die Kunst ein.
Programm
Sonntag, 6. März 2022, 11 bis 17 Uhr, Opening Day, 11 Uhr Begrüssung und Einführung, Thomas Scheitlin, Stiftungsratspräsident, Thomas Baumgartner, Direktor Appenzeller Bahnen AG, Geraldine Wullschleger, Kuratorin, 14 Uhr Kindervernissage: »Prost und Klirr« mit Rahel Flückiger, Kunstvermittlerin
Sonntag, 20. März 2022, 15 Uhr, Filmnachmittag »Hans Krüsi – auch ein Esel trägt schwer«, dazu Gespräch mit dem Filmemacher Andreas Baumberger und Apéro
Sonntag, 27. März, 14 bis 16 Uhr, Hanami Workshop, »Blumen für Hans Krüsi«, was passiert mit nicht verkauften Blumen? Wir retten sie und schenken ihnen ein zweites Leben, mit Sarah Hauser und Marialuna Macrí. Für jedes Alter und Familien, Anmeldung erwünscht per E Mail an info@museumimlagerhaus.ch
Sonntag, 3. April, 15 Uhr, Kunst, Kaffee, Kuchen, Blumenmannli und Kunstkomet, Einblicke in die Forschung zu Hans Krüsi mit der Kuratorin Geraldine Wullschleger
Sonntag, 24. April, 11 Uhr, Artist Talk, im Dialog mit den Künstlern H. R. Fricker und Marcus Gossolt, die mit eigenen Werken auf Krüsi reagiert haben, Apéro
Sonntag, 8. Mai, 14 bis 16 Uhr, Atelier Kinderkunst, »In allen Dingen steckt Kunst«, inspiriert von Hans Krüsi verarbeiten wir alles, was nicht niet und nagelfest ist zu Kunstwerken und stellen sie aus. Mit Rahel Flückiger
Samstag, 21. Mai, 17.30 Uhr, Sonntag, 22. Mai, 11 Uhr, Spoken Word, Dichterstauffer ruft Krüsi, Hans Krüsi gibt keine Antwort mehr, sein Werk spricht noch in unverwechselbarer Deutlichkeit, Michael Stauffer, bekannt als Dichterstauffer, taucht ein in Krüsis Werk und beginnt einen Dialog, begleitet von Adrien Oggier, Trompete
Mittwoch, 15. Juni, 18 Uhr, Art Talk, »Hans Krüsi – Reaktion und Rezeption«, mit Markus Landert, Kunstmuseum Thurgau, Jürg Bachmann, Journalist, und Markus Schöb, Beurret Bailly Widmer Auktionen, Apéro
Sonntag, 10. Juli, 11 Uhr, Finissage und Erinnerungen, mit Martin Vogt, ehem. Direktor Appenzeller Bahnen, und Hans Hug, Präsident Museumsverein Appenzeller Bahnen
Ausstellungsrundgang
Mittwoch, 16. März 2022, 13. April 2022, 11. Mai 2022,, je 18 Uhr, Sonntag, 26. Juni 2022, 11 Uhr, Gebärdensprache siehe Website
Programmänderungen vorbehalten, aktuelle Informationen unter www.museumimlagerhaus.ch