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Gütersloh, Andrej Hermlin, Swing Dance Orchestra, 2012 zu Gast in Gütsel, InterviewZoom Button

Foto: Christian Schröter, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

Gütersloh, Andrej Hermlin, Swing Dance Orchestra, 2012 zu Gast in Gütsel, Interview

Gütersloh, Andrej Hermlin, Swing Dance Orchestra, 2012 zu Gast in Gütsel, Interview

Am Freitag, 23. März 2012, fand die 2. Gütersloh Music Night statt.  Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra verwandelten den großen Saal der Stadthalle in einen Ballroom im Stil der 1930er Jahre …

Nach dem grandiosen Erfolg des Ray Wilson Konzerts im Rahmen der 1. Gütersloh Music Night kam es zur Neuauflage dieser für Gütersloh einzigartigen Charity Veranstaltung: Am Freitag, 23. März 2012, verwandelte sich die Stadthalle in einen Ballroom im Stil der 1930er Jahre. Best of Swing vereint die Höhepunkte des amerikanischen Swing. Dabei werden von Andrej Hermlin und seinem Swing Dance Orchestra bekannte Top Hits der Musikgrößen der 1930er Jahre wie Benny Goodman, Glenn Miller, Duke Ellington, Count Basie, Tommy Dorsey, Artie Shaw und vieler anderer zu Gehör gebracht.

Wir sind nach Berlin gereist und haben mit dem Bandleader Andrej Hermlin gesprochen.

Herr #Hermlin, wir befinden uns hier in der »Hermlin Villa« …

Vor ein paar Jahren haben wir das Haus gekauft, restauriert und jetzt leben wir hier, meine Frau und ich, meine Kinder, und meine Mutter hat im Souterrain eine eigene Wohnung. Da mein Vater nie etwas hat machen lassen – als Schriftsteller hat ihn das alles nicht so interessiert, zu #DDR Zeiten war es ja sowieso nicht sein Haus, ist alles, was Sie hier sehen Stand 1927 – nur aufgearbeitet. In diesem Haus haben sich viele Sachen abgespielt, hier waren viele berühmte Leute, wie zum Beispiel Heinrich Böll. In dem Zimmer, in dem wir hier sitzen … ich weiß nicht, ob Ihnen der Name Wolf Biermann etwas sagt, der ist 1976 aus der DDR ausgebürgert worden, und da gab es ja damals eine Petition gegen seine Ausbürgerung. Diese #Petition hat mein Vater verfasst, und das Treffen der 12 Erstunterzeichner fand in diesem Raum statt. Hier begann die Biermann Affäre, in diesem Raum. Und ich war zufällig an diesem Tag dabei.

Wie alt waren Sie damals, als sich die Erstunterzeichner getroffen haben?

Ich war damals 11. Aber da meine Eltern politische Dinge nicht vor mir geheim hielten, war mir sehr genau bewusst, worum es ging. Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, setzte dort das entsprechende Kesseltreiben ein. Aber wie gesagt – in diesem Räumen haben sich viele interessante Sachen abgespielt, unter anderem waren diese Räume auch verwanzt worden. Das haben wir natürlich erst sehr viel später bemerkt.

Wie war das denn nach der Petition? Da ist doch der Druck der Stasi auf Ihren Vater ganz massiv geworden?

Die Stasi hat keinen Druck ausgeübt, die Stasi hat uns nur überwacht. Druck haben die nur auf Leute ausgeübt, die sie verhaftet haben. Üblicherweise war die Staatssicherheit – wie jeder andere Geheimdienst auch – unsichtbar. Die haben Leute hier hin geschickt, die angeblich unsere Freunde und Bekannte waren, die aber in Wirklichkeit auf deren Pay­roll waren. Unser Telefon ging damals ständig kaputt – da kamen dann sofort Monteure. In der DDR musste man ja normalerweise lange darauf warten, aber die waren prompt da und reparierten. Ich habe mir erst später überlegt, dass die Batterien, die darin waren, nur eine bestimmte Lebensdauer hatten und immer ausgewechselt werden mussten. Wir hatten hier früher uralte 60er Jahre Möbel drin, total verschlissen. Ein Jahr bevor mein Vater starb hatte er einen Gast hier, der setzte sich auf einen Sessel und mit einem Mal fielen zwei Wanzen aus dem Ding. Die hatten sie eingenäht und nach alle den Jahren löste sich der Stoff plötzlich auf. Die ersten großen Auseinandersetzungen gab es Anfang der 60er Jahre, da hatte mein Vater in Berlin einen Lyrikabend gemacht, der viel Furore auslöste, was viele Leute in der Führung verärgerte. Dann kam die Biermann Affäre, der Schriftstellerkongress … es war ständig etwas los. An den ganzen Debatten nahm ich ja schon teil als Kind. Hier hängen ganz, ganz viele Erinnerungen dran.

Und trotzdem entschieden Sie sich letztendlich für die Musik und nicht für die Literatur?

Ganz gewiss nicht für die Literatur. Ich habe zwar in der Zwischenzeit ein Buch geschrieben, aber das war eher ein Betriebsunfall. Ich hatte es eigentlich nicht vor – man hat mich dazu mehr oder weniger überredet. Aber in Wahrheit ist es so, dass ich mir schon als Kind darüber im Klaren war, dass meine große Liebe der Musik gehört. Ich habe auch nie ernsthaft darüber nachgedacht, zum Beispiel Schriftsteller zu werden. Da muss ich meinen Vater loben – er hat zu keinem Zeitpunkt versucht, mich irgendwie unter Druck zu setzen. Meine Eltern haben mir immer das Gefühl gegeben, mich zu lieben – egal, was ich tue. Selbst die Tatsache, dass ich sehr wenig gelesen habe, hat mein Vater mit großer Gelassenheit ertragen. Dort drüben steht eine alte Musiktruhe – damals stand dort eine ähnliche Konstruktion und darauf spielte mein Vater üblicherweise klassische Musik, Schubert, Bach, Mozart und so weiter. Und ab und zu legte er eine Jazzplatte auf und auf diesen Platten hörte ich das zum ersten Mal. Und ich kann mich bewusst an keinen Moment in meinem Leben ohne die Musik erinnern. Es war irgendwie immer klar, dass das meine Musik ist, aber richtig logisch erklärbar ist das eigentlich nicht.

Sind Sie denn mit anderer Musik auch einmal in Verbindung gekommen?

Also in der Kinderzeit gab es eigentlich nur klassische Musik, die habe ich gerne gehört, oder diese Musik. Schlager- und Rockmusik wurde bei uns überhaupt nicht gehört. Mein Vater hörte fast immer den Deutschlandfunk. Wenn dann irgendwann einmal so eine Musik kam, sprang mein Vater sofort auf und drehte das Radio aus. Das war also ein absolutes Tabu bei uns, wobei es Einschränkungen gab – zum Beispiel mochte mein Vater die Beatles sehr. Auch französische Chansons mochte er sehr gerne. Ich wusste so ganz grob, dass es eine Gruppe wie Abba gab, aber wir haben so etwas nie gehört. Auch die ganzen DDR Rockbands gingen völlig an mir vorbei. Bis zu meiner Armeezeit wusste ich kaum etwas davon. Das fing bei mir erst Anfang der 80er Jahre an, als ich 17 oder 18 Jahre alt war. Die große Liebe war aber immer der Swing.

War das nicht schwierig, ausgerechnet diese amerikanische Musik in Zeiten der DDR zu hören?

So eine Frage kann immer nur von Journalisten aus dem Westen kommen. In der DDR gab es immer dann Restriktionen, wenn es um politisch kritische Texte ging. Die Musik war denen völlig wurscht. Gerade Jazzmusik war eine der meistgeförderten Musiken in der DDR. Das größte Dixieland-Festival in Europa fand nicht irgendwo statt, sondern in Dresden. Da wurde ein Haufen Geld reingepumpt. Die Free #Jazz Szene, die ich ja nun gehasst habe, weil ich damit nichts anfangen konnte, war nirgendwo größer als in der #DDR. Das Pasadena Roof Orchestra trat im Palast der Republik auf. Also: Es gab null Restriktionen dagegen. Ich rede jetzt natürlich von den 70er und 80er Jahren. In den 50er Jahren war es etwas anders, da war ich noch nicht geboren, da gab es den Ausspruch von Eisenhower: »Wenn wir den Osten nicht mit dem Panzer erobern, dann mit der Jazztrompete«. Und das hat ihm natürlich der Ulbricht übelgenommen. Es wäre viel schlimmer gewesen, DDR-Musik mit kritischen Texten zu machen, als Glenn Miller zu spielen. Es gab damals eine Jazzreihe bei der Amica, der ältesten Plattenfirma Deutschlands, da gab es Tommy Dorsey oder Glenn Miller und andere weltbekannte Künstler. Auch die Diskussion um die Jazzmusik in der Nazizeit, das sei damals alles verboten gewesen, das stimmt alles überhaupt nicht. Die ganzen Tanzorchester spielten überall in Berlin. Diese Geschichten, dass jeder, der sich für Swingmusik interessiert hat, automatisch ein Widerstandskämpfer war, sind einfach nicht wahr. Es gab sogar ein staatliches Swingorchester unter dem Befehl von Göbbels. Es war also für mich keine Heldentat, so eine #Musik zu machen.

Was glauben Sie, woran es liegt, dass die Leute plötzlich wieder so auf die Swingmusik stehen?

Das hat ja schon vor einiger Zeit angefangen. Erstaunlicherweise dauerte die zweite Swingwelle länger als die erste. Das Original fing 1934, 1935 an, 1940 war dann alles schon wieder vorbei. Heute reden wir von fast zwei Jahrzehnten. Zum einen haben viele junge Leute diese Musik als Tanzmusik entdeckt, es gibt in den USA eine große Swingtanzszene, zum anderen hängt da natürlich auch viel dran – die Frisur, die Kleidung, Dinge mit denen man sich absetzen kann, die irgendwie lustig sind. Es war eine Zeit unglaublicher Eleganz. Und dann ist diese Musik ja auch recht zeitlos, zum Beispiel gab es damals schon Rap oder Hip Hop auf Swing. Das ist ein sehr innovatives Jahrzehnt gewesen.

Entwickelt sich diese Musik denn jetzt weiter oder bleibt sie stehen?

Wir experimentieren mit einigen Sachen herum, aber in der Tendenz steht das Swing-Dance-Orchestra natürlich für die originalgetreute Musik aus den 1930er Jahren. In Gütersloh werden wir unverstärkt spielen. Ich finde, es hat alles seine Berechtigung – durch die modernen Richtungen ist #Swing in aller Munde. Ich bin aber ein absoluter Traditionalist.

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