Die Handwerker Crew aus der Geschichtswerkstatt, Dr. Christoph Lorke, Stadtarchivarin Julia Kuklik, Felix Tiemann vom Fachbereich Kultur, Dokorandin Joana Gelhard, Tim Zumloh, Wissenschaftlicher Volontär bei LWL Institut für westfälische Regionalforschung Münster und Kultur Beigeordneter Andreas Kimpel, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Gütersloh, ein Projekt der Bürger, Zeitzeugeninterviews spielen eine wichtige Rolle bei den Forschungen zur Stadtgeschichte ab 1945, Beiträge aus der Geschichtswerkstatt
»Zur lokalen Geschichte heißt es hier oft, da war irgendwie das Jahr 1945, und dann fing man halt an und krempelt die Ärmel hoch und war besonders fleißig, um die Trümmer wegzuräumen.« Für Dr. Christoph Lorke, den Leiter der zur Erforschung der Stadtgeschichte eingesetzten Arbeitsgruppe des #LWL #Instituts für #Westfälische #Geschichte #Münster und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg stellt sich die Ausgangslage komplizierter dar. Er hatte kürzlich auch interessante Aspekte und einen tieferen Sinn in der spektakulären Alliteration »Informiert, Irritiert, Integriert« erkannt.
»In Gütersloh ticken die Uhren etwas anders.« Das stellte er jüngst bei der Tagung der Geschichtswerkstatt, einer Versammlung geschichtlich interessierter Bürger, fest und präsentierte seinen Leitfaden für den 2. Teil der Gütersloher Stadtgeschichte – voraussichtlich ein mehr als 600 Seiten starkes Werk. Es gebe hier viele Hidden Champions, und große Erfolgsgeschichten wären zu erzählen. Aber auch solche des Niedergangs.
»Es soll ein Bürgerprojekt werden«, fordert Andreas Kimpel die Mitglieder der Werkstatt zur Mitarbeit auf und kündigt weitere Erzählcafés an. Zum Beispiel eines zur »Frauenbewegung in den 80er Jahren«. «Ich wünsche mir, dass dieses Projekt Unterstützung in einem Querschnitt der Gesellschaft findet und viele Zeitzeugen bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen. Wenden Sie sich direkt an Dr. Lorke, an Julia Kuklik im #Stadtarchiv oder kommen Sie in unsere Erzählcafés.«
Die Stadt sei kein »monolithischer Block« [sic!], melden sich Sitzungsteilnehmer zu Wort. Die Mentalität und der Charakter der Ortsteile unterschieden sich teilweise erheblich, das sei bei der Gebietsreform 1971 deutlich geworden. Auch die Veränderungen im Gesicht der Stadt Gütersloh selbst durch die pragmatische und rigorose #Baupolitik während des Neuaufbaus der kriegszerstörten Stadt sowie während der 60er und 70er Jahre warteten auf eine Aufarbeitung. Das gelte auch für die Zeit des #Nationalsozialismus, mahnte ein anderer Teilnehmer: »Es gibt einige Aspekte, die nicht vergessen werden dürfen. Seien es die Prozesse gegen Beteiligte am Novemberpogrom im Jahr 1938, seien es die Entschädigungsverfahren der ehemaligen jüdischen Mitbürger oder die Entnazifizierung von Parteimitgliedern und SS Mitgliedern, die bis zum Ende der NS Zeit in Stadtverwaltung, Magistrat oder in NS Organisationen Verantwortung getragen haben.«
[Unter »Entnazifizierung« versteht man die Entfernung besagter Subjekte aus ihren Ämtern und ihre Bestrafung. Nicht, aus den Personen Nicht-Nazis zu machen. Insofern war es nicht die Bestrebung, Parteimitglieder oder SS Mitglieder zu »entnazifizieren«, sondern die besagten Behörden und Institutionen zu »entnazifizieren«. Anm. d. Red.]
Auf die Flurbereinigung, den Sport, das Zusammenleben mit den Briten und die Aufnahme von Ost- und DDR Flüchtlingen weisen weitere Stimmen hin.
»Wir werden die Geschichte der Stadt nicht vom Ende her erzählen, sondern die Unwägbarkeiten und die Weggabelungen betrachten«, stellt Lorke dazu heraus und betont: «Wir machen hier keinen investigativen Journalismus oder reißen alte Konflikte auf. Es gilt, die Genese historischer Entwicklungen aufzuzeigen.« Das Geschichtsbuch soll eine übersichtliche, trotzdem »wissenschaftlich empirisch gesättigte« #Studie werden, auch ganz klassisch mit Statistiken über Wahlergebnisse und Einwohnerzahlen.
Gütersloh als Labor für wissenschaftliche Mittelstadtforschung
Ein weiterer Aspekt wird besonders beleuchtet: Die relative Unsichtbarkeit von Mittelstädten wie Gütsel spiegelt sich nicht nur in deren eigener Geschichte und in ihrer #Kultur, sondern auch in den #Sozialwissenschaften wider. Orte, in denen die meisten Menschen leben, fristen bisher eher ein Schattendasein in der #Forschung. »Wir wissen sehr viel über Metropolen. Aber wir wissen wenig, auch #konzeptionell [?], über das #Funktionieren von Mittelstädten«, blickt der Wissenschaftler auf sein Fachgebiet. Das passe hier hervorragend zusammen, denn bis vor kurzem war #Gütersloh für den Großteil der Wissenschaftler eine Mittelstadt. Lorke will das Thema über die lokale Öffentlichkeit hinaus bekanntmachen und plant, hier ein »Laboratorium« zu vielen Prozessen, etwa dem Strukturwandel oder dem Niedergang von ganzen Branchen, zu entwickeln. Dazu gibt es bereits viele Tagungsideen. »Erklärtes Ziel ist es«, so Lorke, »das Thema Gütersloh auch in der Fachwelt ›prominent‹ zu machen.«