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Foto: Jingming Pan, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

Moral und Zigeuner*innen

Moral und Zigeuner*innen

Der Historiker Götz Aly sagt »Wir haben nicht das Recht, unsere heutigen moralischen Maßstäbe an die Geschichte anzulegen« … nun ja. Unsere moralischen Maßstäbe nicht. Aber wir haben die Pflicht, ethische Maßstäbe an die Geschichte anzulegen. Und auch an die Gegenwart.

Aber die meisten verwechseln #Ethik und #Moral … oder wissen gar nicht, dass das zwei völlig unterschiedliche Dinge sind.

Auf jeden fall muss man sich vor #Geschichtsklitterung hüten. Und zwar im »Guten« wie im »Schlechten«. Vor Gegenwartsklitterung natürlich ebenso.

Rückwirkend die Sprache zu verändern, ist Klitterung. Teilweise sogar Verballhornung und damit Verharmlosung beziehungsweise Relativierung.

Und es wäre geradezu lächerlich, die Neandertaler schlechtzumachen, weil sie keine klimafreundlichen Veganer waren … und mutmaßlich auch »queerfeindlich« und nicht »gendergerecht«. Zumal wir gar nicht wissen, wie sie gesprochen haben. »Ngok uga uga grom*innen!« …

Das Moralisieren der Sprache ist Klitterung. Man versucht offenbar, sich der Vergangenheit und der Verantwortung zu entledigen. Es ändert nichts an der Tatsache, dass in Amerika seinerzeit die Indianer abgeschlachtet wurden (Siedler wurden freilich auch abgeschlachtet) und diskriminiert wurden und werden, wenn man sie als »Indigene Ureinwohner« oder sonstwie bezeichnet. Dadurch wird keine Gerechtigkeit hergestellt. Im Gegenteil, die Ungerechtigkeit wird dadurch manifestiert und legitimiert, indem man sich den Anstrich des Gerechten allein durch Sprache gibt (aber nicht durch Handeln oder Unterlassen oder Ausgleich). Man darf dabei natürlich nicht Schuld und Verantwortung verwechseln.

Interessant ist übrigens auch, was damals Cortez und Konsorten getrieben haben. Wie kann das sein, dass sie mit läppischen zwei (?) kleinen Schiffsbesatzungen die Azteken ausgeraubt und unterworfen haben? Ganz einfach – sie waren ruchlos und hatten haushoch überlegene Waffen. Und sie waren ja auch im Göttlichen Auftrag unterwegs, um das Gold zu rauben. Das für die Atzeken nichts Besonderes war – sie hatten ja reichlich davon. Hätten sie Fimo und Glitzerstaub gehabt, hätten sie wahrscheinlich damit alles mögliche produziert. Aber die portugiesischen und spanischen Herrscher, die damals führend waren, waren eben goldgeil und hatten nicht genug davon. Und da sie göttlich legitimiert waren (und umgekehrt) hielt man es für legitim, sogar für geboten, sonstwo sonstwas zu rauben (nicht nur Gold, auch Menschen und alles, was man wollte). Nicht zu stehlen. Zu rauben. Sich also mit Gewalt anzueignen.

Man war damals auch naiver als heute. Heute macht man das alles subtiler, verschleiert es, behauptet das Gegenteil, und teilweise macht man es in einem so großen Maßstab, dass es gar nicht mehr auffällt. Man fühlt sich gut, Altkleiderspenden nach Afrika zu verschiffen. Afrikaner sagen hingegen »Hört auf, uns Euren Müll zu schicken« … andererseits kaufen und tragen sie den Müll dann aber auch. Aber was auch sonst? Das ist eben das Teuflische und Perfide. Früher hat man Menschen aus Afrika geraubt … heute kommen einige von selbst und man will sie nicht. Wird diese Ungerechtigkeit nun dadurch beseitigt, dass man irgendwelche »Mohrenstraßen« umbenennt? Zumal man manche »alten« Begriffe nicht mehr will – andere hingegen schon. Das ist keine stringente Geisteshaltung, das ist überhaupt keine »Haltung«. Das ist lediglich Klugscheißerei und Wichtigtuerei. Allerdings ist es das auch auf Seiten der Traditionalisten und Rekonstitutionalisten.

Anstatt das Unrecht klar zu benennen und auszugleichen, regt man sich darüber auf, dass Zigeunersauce umbenannt wird oder nicht umbenannt wird. Beides ändert nichts an der Realität und der Geschichte. Im Gegenteil. Zumal man sich ja gar nicht über das Unrecht aufregt und nur am Rande damit befasst und es gar nicht richtig erfasst und versteht. Sondern über die Sprache. Das ist total verrückt. Soll das denn etwa heißen, das die Gräuel der Nazis in Ordnung gewesen wären, wenn sie nur »Sinti*zze und Rom*nja« statt »Zigeuner« gesagt hätten (macht man da beim »Genderstern« eigentlich auch eine Sprechpause?)? Wohl kaum. Zumal mit dieser Bezeichnung, die sich keiner merken kann und will, gar nicht alle Opfer erfasst werden. Mit dem Begriff »Zigeuner« wurden viel mehr Menschen als nur Sinti und Roma bezeichnet. Gezielt in den Sprachgebrauch einzugreifen ist ein Merkmal des Faschismus. Insofern hatte der Duden eigentlich einen deskriptiven Charakter, der auch eine normative #Natur hatte. Aber keinen legislativen Charakter.

Sprache verändert sich – aber nicht von selbst, nicht von sich aus, sondern durch den Gebrauch. Aber nicht durch den Gebrauch, den sich einzelne ausgedacht haben und den sie allen zu oktroyieren versuchen. Und das dann auch noch mit Moral begründen.

Der Begriff »Moral« hat übrigens mehrere Bedeutungen, die wenig miteinander zu tun haben.

An gewisse Dinge wagen sich die Moralisten komischerweise nicht heran. Beispielsweise an die Religionen. Was aber auch verständlich ist, denn religiöse Maßstäbe sind moralische und keine ethischen Maßstäbe. Insofern sind sie Brüder im Geiste. Wie auch Religionen untereinander, wenn es um Abstraktes geht. Man schlachtet sich gegenseitig ab – aber wenn einer einen Koran verbrennt, dann ist auf einmal auch der Papst empört. Derselbe Papst (als Amt), der seinerzeit die blutigen Kreuzzüge befohlen hat (und wohl auch dazu gedrängt wurde).

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