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Das »Gütersloher Modell«, Betreuungsskandal in Gütersloh
Bereits im Juni 2005 berichteten wir über den Fall des mittlerweile verstorbenen von Waltraud Karp Betreuten Reinhold Sandforth, dem von Olaf O. mit gefälschten Schuldscheinen und nicht notwendigen Reparaturen auf seine Kosten sein gesamtes Vermögen genommen worden sein soll – ein Haus im Wert von mehr als 200.000 Euro und ein Sparbrief über 74.000 Euro. Bei der Darstellung des Falls O. in der Öffentlichkeit wurden die #Geschädigten meist als abstrakte Größe behandelt. Betrachtet man jedoch einzelne Fälle genauer, wird die ganze Niedertracht von Olaf O. noch deutlicher und die Frage, wie der ehemalige #Anwalt #Untreue in 45 besonders [sic!] schweren Fällen unter den Augen der Rechtspfleger und Richter begehen konnte, tritt in den Vordergrund. Nicht zufriedenstellend ist die Antwort, die Oberstaatsanwalt Klaus Steffen darauf im November 2006 gegeben hatte: Überlastung.
Während der Verhandlung gegen O. hatte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts #Bielefeld festgestellt, daß es in zahlreichen Fällen an Kontrolle durch die Vormundschaftsgerichte mangelte, daß Genehmigungen fehlten, und daß trotz teils umfangreicher finanzieller Transaktionen durch O. in keinem einzigen Fall ein Gegenbetreuer bestellt worden war. Trotz dieser Umstände hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Rechtspfleger und Richter der Amtsgerichte Halle und Gütersloh eingestellt. Auch ein heimisches Kreditinstitut hatte es offenbar an Sorgfalt mangeln lassen: Wegen angeblicher Zerstörung eines Oldtimers durch den von O. Betreuten Werner F. überwies die Bank einen Sparkassenbrief im Wert von 103.000 Euro auf Os Konto, obwohl die dafür notwendige gerichtliche Zustimmung nicht vorlag – »Übersteigt die Verfügung eines Betreuers die Summe von 3.000 Euro, muß der Vormundschaftsrichter grünes Licht geben«, so Anwalt Jens U. Kutzner, der acht ehemals von O. Betreute vertreten hatte. Darüberhinaus haben Gütersloher Handwerksbetriebe und Dienstleistungsbetriebe Rechnungen für Olaf O. auf die Adressen von Betreuten umgeschrieben und damit – wissentlich oder unwissentlich – zu dessen Machenschaften beigetragen.
Waltraud Karp, Leiterin des Gütersloher Pflegedienstes »Die Karbolmäuse«, hatte die Angelegenheit im Herbst 2004 durch eine Strafanzeige wegen Untreue und Körperverletzung gegen Olaf O. ins Rollen gebracht. Deutliche Hinweise auf dessen #Machenschaften hatte es durch ein anonymes Telefax an den Landschaftsverband #Ostwestfalen #Lippe gegeben, in dem es unter anderem heißt, daß die Betreuung durch Olaf O. auf persönlicher Bereicherung basiere und der Einschüchterung und Ausbeutung der ihm anvertrauten Menschen diene. Auch wird in diesem Schreiben vor der »Macht dieser Organisation« gewarnt. Pflegedienstleiterin Karp wurde durch die Os Machenschaften erheblich geschädigt. Noch heute sitzt sie auf den mehr als 8.000 Euro Pflegekosten für ihren ehemaligen Patienten Reinhold Sandforth.
Darüberhinaus ergaben unsere Recherchen ein skandalöses Bild: Die Betreuer halten sich seit der Aufdeckung des Skandals bei der Vermittlung von Patienten an den Pflegedienst von Waltraud Karp sehr bedeckt. Dabei habe sie zunächst ein starkes öffentliches Interesse an diesem Fall nach der Strafanzeige registriert, niemand habe sie jedoch danach bei der weiteren Aufklärungsarbeit im Fall O. unterstützt. Ihre Enttäuschung ist groß, viele Beteiligte sind im Laufe des Verfahrens auf Distanz gegangen: »Ich habe auch gedacht, daß diejenigen, die Os Methoden kannten, kooperativer seien«, macht Karp ihrer Enttäuschung Luft. Wie konnte Olaf O. mehr als zwei Dutzend Betreute schädigen und 8.000 Euro aus deren Vermögen verprassen? Der Fall verdeutlicht insbesondere die schwierige rechtliche Lage der Menschen unter amtlicher Vormundschaft, wie ein jüngst im Nachrichtenmagazin »Focus« veröffentlichter Artikel eindrucksvoll belegt. So ermögliche das deutsche Betreuungsrecht insbesondere im Hinblick auf die teilweise hohen Vermögenswerte der Betreuten viele Unregelmäßigkeiten.
Das Gesetz begrenze die Aufgabenbereiche der Vormundschaftsrichter auf die Einrichtung der Betreuung sowie die Bestellung des Betreuers; eine entsprechende Kontrolle durch die #Richter finde überhaupt nicht statt. Ein Rechtspfleger habe weder ein Weisungsrecht gegenüber dem Betreuer, noch sei er selbst an Weisungen des #Gerichts gebunden. Mehr noch: Rechtspfleger könnten Eigeninitiativen von Betreuern, die die Lebensumstände des Betreuers verbessern würden, unterbinden. Der Rechtspfleger könne sich darauf verlassen, daß Betreuer nichts tun, was ihre Bestellung in weiteren Fällen gefährden könne. Betreuer mit entsprechenden Systemkenntnissen hätten gute Verdienstmöglichkeiten …
Die bislang ermittelte Schadenssumme im Fall O. beläuft sich auf mehr als 1,2 Millionen Euro. Da rücken die kriminellen Arbeitsweisen des ehemaligen Betreuers noch einmal in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Seit 1993 arbeitete O. als Berufsbetreuer. Ende der 1990er Jahre erwarb er insgesamt 15 Immobilien, die er so umbauen ließ, daß seine Betreuten in diesen Immobilien wohnen konnten. Über eigene #Unternehmen, darunter auch die Firma »Casa Nostra«, vermietete O. seine Häuser an die Betreuten. Da er über die eigenen Firmenkonten verfügungsberechtigt war, hatte O. die absolute Kontrolle über die Vermietungen und die Verwendung der Mieteinnahmen. Die Firmen wurde dazu mißbraucht, Scheinrechnungen ohne Leistungen zu erstellen, um so das Vermögen der Betreuten zu schädigen. Viele Häuser wurden zur Prostitution untervermietet. Pikant: Einige Telefonummern der Prostituierten aus den Anzeigen Gütersloher Zeitungen waren auf den Namen O. angemeldet – Privat wohnte O. auf einem Anwesen in Harsewinkel – ausgestattet mit einer Reithalle, Reitplätzen, Swimmingpool und einer Außenteichanlage. Das Objekt ließ er durch unterschiedliche Handwerker aus der Region renovieren und sanieren.
Die entsprechenden Rechnungen wurden dann für die Häuser der Betreuten umgeschrieben und entsprechend über sie abgerechnet. O. forderte Handwerker auf, aus »steuerlichen Gründen« Lieferungen und Leistungen auf andere Objekte zu schreiben. Die Liste der betrügerischen »Arbeitsweisen« ist lang. Auf ihr ist auch die Rechnung für die Ausstattung seines Büros zu finden. O. ließ sie von einem Betreuten ohne dessen Wissen übernehmen. O. schädigte auch das Vermögen der Betreuten dadurch, daß er Barauszahlungsquittungen bei den Gerichten einreichte und angab, daß die von ihm betreuten Personen entsprechendes Geld erhalten hätten. Tatsächlich haben die ahnungslosen Personen die Summen nie erhalten. Eine Vielzahl weiterer Straftaten Os sind aktenkundig. Das Interesse der #Medien im Fall O. war groß. Auch die Anfang 2007 im Ersten gesendete Dokumentation »Die Betreuungsfalle« und der vor wenigen Wochen im »Focus« erschienene Artikel haben über O. berichtet und die Problematik gesetzlich betreuter Erwachsener beleuchtet. Dennoch sind die meisten der Geschädigten in Vergessenheit geraten und haben keinen gerechten Ausgleich für die ihnen entstandenen Schäden erhalten. Um den vielen Opfern und deren Angehörigen eine Öffentlichkeits Plattform zu geben, haben wir ein Forum für alle O. Opfer ins Leben gerufen. Es soll in erster Linie dem Informationsaustausch der Geschädigten dienen und das Schicksal der Betreuten erneut ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Wider das Vergessen …